Toter Kremlgegner: Das Rätsel um Alexej Nawalnys Todesursache – und warum es lange ungelöst bleiben könnte
Informationen zu Alexej Nawalnys Todesursache bleiben die russischen Behörden bislang schuldig – und vieles deutet darauf hin, dass das vorerst so bleibt. Kritiker werfen dem Kreml vor, Zeit zu schinden.
Wie ist Alexej Nawalny zu Tode gekommen? Die Antwort auf diese Frage interessiert nicht nur die Angehörigen und die Unterstützer des Kremlkritikers, auch die internationale Politik wartet auf eine schlüssige Erklärung der russischen Behörden. Ob die jemals kommen wird, ist jedoch ungewiss.
Auch drei Tage nach dem Tod des 47-Jährigen deutet in Putins Riesenreich nichts darauf hin, dass es transparente und unabhängige Untersuchungen in dem Fall geben wird. Die russischen Behörden halten ihre Hand auf dem Fall, nur wenige und kaum verlässliche Informationen gelangen an die Öffentlichkeit. Dazu passt, dass rund zwei Tage lang nicht bekannt war, wo sich der Leichnam Nawalnys befand.
Alexej Nawalnys Todesursache weiterhin ungeklärt
Aus seinem Straflager im sibirischen Charp hieß es, der Körper sei ins rund 50 Kilometer entfernte Salechard gebracht worden. Im dortigen Leichenschauhaus wusste man davon nichts, Nawalnys Mutter und ein Anwalt wurden abgewimmelt (was sie vor Ort erlebt haben, lesen Sie hier). Erst am Sonntag erfuhr die kremlkritische Zeitung "Nowaja Gaseta" über Umwege, dass sich der Leichnam im Bezirkskrankenhaus von Salechard befinden soll, eine Obduktion habe jedoch noch nicht stattgefunden. Wie glaubwürdig die Ergebnisse einer solchen Untersuchung wären, ist dabei ohnehin noch einmal eine ganz andere Frage.
FS Nawalny Leben in Bildern 14.00
In ihrer ersten Mitteilung zum Tod Nawalnys hatte die russische Gefängnisverwaltung mitgeteilt, dass der Kremlkritiker am Freitag während eines Hofgangs in der klirrenden Kälte seines Straflagers im sibirischen Charp sich plötzlich "unwohl gefühlt" habe und zusammengebrochen sei. Wiederbelebungsversuche seien erfolglos geblieben. Der Tod sei um 14.17 Uhr Ortszeit (10.17 Uhr MEZ) festgestellt worden. Als Todesursache sei Nawalnys Mutter Ljudmila Nawalnaja kurz drauf ein "plötzliches Todessyndrom", ein Sekundentod, mitgeteilt worden. Darunter wird allgemein ein unerwarteter Herzstillstand verstanden. Aber weder diese Angabe noch die Informationen über Todeszeitpunkt und -umstände lassen sich zweifelsfrei belegen.
Klar ist: Nawalny war geschwächt. Er überlebte einen Giftanschlag und war seit Jahren widrigsten Haftbedingungen ausgesetzt. Seine Anhänger werfen Wladimir Putin und seinem Regime Mord an einem Staatsfeind vor.
Doch eine aktive Tötungshandlung durch den russischen Machtapparat zu beweisen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein, wenn es keinen Zugang zum Leichnam des Verstorbenen gibt. Auch am Montag verweigerten die russischen Behörden diesen der Mutter und den Unterstützern Nawalnys – angeblich, weil die Ermittlungen noch andauerten.
"Im Ermittlungskomitee wurde der Mutter und den Anwälten gesagt, dass die Untersuchung des Todes Nawalnys verlängert wurde. Wie lange sie noch dauert, ist nicht bekannt", teilte Kira Jarmysch, Sprecherin des Kremlkritikers auf X, vormals Twitter, mit. "Die Gründe des Todes sind immer noch 'nicht festgestellt'." Das Team Nawalnys warf den Behörden eine Verzögerungstaktik vor.
Wann wird Alexej Nawalnys Leichnam freigegeben?
So bleibt auch drei Tage nach dem Tod des Oppositionellen nur das, was die "Nowaja Gaseta" über mehrere Ecken aus dem Krankenhaus von Salechard erfahren haben will. Der Körper des Toten soll zahlreiche blaue Flecken aufweisen. Sie sollen davon zeugen, dass Nawalny vor seinem Tod Krämpfe gehabt habe und von Wächtern des Straflagers festgehalten worden sei. Ein Bluterguss auf der Brust sei zudem ein Indiz dafür, dass tatsächlich versucht worden sei, Nawalny wiederzubeleben. Allerdings bleibt eine große Unsicherheit: Die anonyme Quelle der Exil-Zeitung will die Leiche nicht selbst gesehen, sondern die Informationen von einem Kollegen in der Klinik erhalten haben.
Beobachter halten es für möglich, dass die Behörden mit der Herausgabe des Leichnams zögern, um vor der Präsidentschaftswahl Mitte März keinen Anlass für Proteste zu schaffen, die sich an der Beerdigung des schärfsten Kritikers von Kremlchef Wladimir Putin entzünden könnten.
Der Anwalt Jewgeni Smirnow glaubt, es sei denkbar, dass Putins Regime den Leichnam lange Zeit vor der Öffentlichkeit versteckt. So könne nach der ersten Überprüfung ein Strafverfahren eingeleitet werden, um weitere Manipulationen vorzunehmen. "Einen juristischen Grund zu finden, um den Leichnam Monate oder sogar länger einzubehalten, ist sehr einfach", sagte er laut Nachrichtenagentur DPA.
Die Anhänger von Nawalny forderten wiederholt die "unverzügliche" Herausgabe des Leichnams durch die Behörden und glauben nicht, dass diese etwas zu einer transparenten und unabhängigen Aufklärung des Todes von Putins Hauptfeind beitragen werden. Kira Jarmysch schrieb: "Sie lügen, kaufen sich Zeit und versuchen nicht einmal, das zu verstecken."
Quellen: Kira Jarmysch, "Nowalja Gaseta", Nachrichtenagenturen DPA, AFP und Reuters