Deutsch-französischer Historiker Alfred Grosser im Alter von 99 Jahren gestorben
Der deutsch-französische Historiker und Politikwissenschaftler Alfred Grosser ist tot. Er starb im Alter von 99 Jahren, wie seine Familie am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP bestätigte. Der aus einer jüdischen Familie stammende Grosser zählt zu den prägenden Persönlichkeiten der deutsch-französischen Beziehungen. Er emigrierte als Kind mit seiner Familie 1933 nach Frankreich.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte den Verstorbenen für sein "Lebenswerk der kritisch-aufrichtigen Verständigung zwischen den Völkern". "Der Name Alfred Grosser bleibt für uns Deutsche für immer verbunden mit dem großen Werk der deutsch-französischen Aussöhnung", erklärte Steinmeier in seinem Kondolenzschreiben.
Kaum jemand habe in den vergangenen Jahrzehnten "so kenntnisreich, so leidenschaftlich und so überzeugend für das gegenseitige Verständnis zwischen Frankreich und Deutschland gewirkt", betonte der Bundespräsident. Als Kind einer Familie mit jüdischen Wurzeln, der die Flucht aus Nazi-Deutschland gelungen war, habe Grosser die Fähigkeit gehabt, "sich selbst mit den Augen des Anderen zu sehen".
"Seine Stimme wird uns fehlen", schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Französisch im Onlinedienst X.
"Die deutsch-französische Gemeinschaft trägt heute Trauer", betonte François Delattre, der französische Botschafter in Berlin. Grosser sei "ein humanistisch geprägtes Bindeglied zwischen unseren beiden Ländern" gewesen, fügte er hinzu.
Der deutsche Botschafter in Paris, Stephan Steinlein, ehrte einen "unermüdlichen Arbeiter der deutsch-französischen Freundschaft", der den Dialog beider Länder vorangetrieben habe.
Grosser hatte die Beziehungen beider Länder über Jahrzehnte geprägt, durch seine Lehrtätigkeit an Elitehochschulen, seine mehr als 30 Bücher in beiden Sprachen und zahlreichen Beiträge in deutschen und französischen Medien.
Der gebürtige Frankfurter war 1933 wegen antijüdischer Repressionen mit seiner Familie nach Frankreich emigriert und hatte die französische Staatsangehörigkeit angenommen. Grosser blieb Deutschland dennoch eng verbunden.
Als Professor an der Pariser Eliteschule SciencesPo brachte er Generationen von Studierenden Deutschland nahe. Er empfinde keine "Liebe" zu Deutschland, stattdessen aber ein "Gefühl der Mitverantwortung", sagte er. Er beschrieb die Deutschen aus französischer Perspektive und die Franzosen aus deutscher Perspektive - und kämpfte scharfzüngig, aber charmant gegen vorgefasste Meinungen.
Grosser erhielt den neben vielen anderen Auszeichnungen den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, das Bundesverdienstkreuz und 2019 das Großkreuz der französischen Ehrenlegion. Drei Mal war Grosser als Ehrenredner in den Bundestag geladen, zuletzt vor zehn Jahren zum 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs.
Der Historiker erregte auch mit seinen Ansichten zu Nahost Aufsehen. Mehrfach warf der der Bundesregierung vor, Israel gegenüber zu unkritisch zu sein, und forderte mit Blick auf die Palästinenser "die Anerkennung des Leidens der Anderen".