Medizin: Matthew Perry wurde wegen Depressionen mit Ketamin behandelt – wie das einstige Narkosemittel dagegen helfen kann
Matthew Perry wurde Medienberichten zufolge wegen Depressionen und Angststörungen mit Ketamin behandelt. Wie Ketamin Menschen mit schweren Depressionen helfen kann, welche Gefahren es birgt und wie es wirkt.
Für Fans war es ein Schock: Der überraschende Tod des "Friends"-Darstellers Matthew Perry. Laut Autopsiebericht ist er an den Auswirkungen des Narkosemittels Ketamin gestorben. Hinzu seien unter anderem Ertrinken, eine Herzkrankheit und die Auswirkungen eines Mittels zur Behandlung von Opioid-Abhängigkeiten gekommen. Der Tod sei ein Unfall gewesen. Medienberichten zufolge befand sich Perry in einer Ketamin-Infusionstherapie gegen Depressionen und Angststörungen. Er erhielt wohl eineinhalb Wochen vor seinem Tod eine Ketamin-Infusion, die aber laut Gerichtsmedizin nicht für seinen Tod verantwortlich sein kann, da Ketamin nicht so lange im Körper bleibt.
Depressionen sind auch in Deutschland eine weit verbreitete psychische Erkrankung. Im Laufe eines Jahres erkranken 5,3 Millionen erwachsene Deutsche an einer Depression, heißt es bei der Deutschen Depressionshilfe. Bei einigen Betroffenen bringt die gängige Therapie mit Antidepressiva und Psychotherapie keinen Erfolg. Sie leiden unter einer sogenannten behandlungsresistenten Depression – ihnen haben also zwei oder mehr Arten von Antidepressiva nicht geholfen. Schätzungen zufolge leiden bis zu 30 Prozent der Menschen mit einer schweren Depression an einer behandlungsresistenten. Das einstige Narkosemittel Ketamin kann Menschen mit solchen Depressionen helfen. Wie Ketamin wirkt und wie es eingesetzt wird – ein Überblick.
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Was ist Ketamin?
Ketamin wurde 1966 als Narkosemittel für die Tier- und Veterinärmedizin entwickelt. Im Vietnamkrieg kam es bei Operationen an amerikanischen Soldaten zum Einsatz. Ketamin wird wegen seiner schmerzstillenden Wirkung in der Notfallmedizin eingesetzt. Zudem erweitert es die Bronchien und kann den Kreislauf stabilisieren. Weil Ketamin auch eine gewisse halluzinatorische Wirkung hat, wird es auch als Droge missbraucht.
Wie kam man auf die Idee, es bei Depressionen einzusetzen?
Als Ketamin in den 1970er-Jahren zuerst als Narkosemittel in den USA zugelassen wurde, berichteten Patient:innen auch von der stimmungsaufhellenden Wirkung der Narkose. Seit Anfang der 2000er-Jahre wird intensiv an der antidepressiven Wirkung von Ketamin geforscht. 2014 zeigte eine Studie mit einer geringen Teilnehmerzahl von 20 Personen, dass die Einnahme von Ketamin über die Nase eine schnelle antidepressive Wirkung hat. Seit 2019 ist in den USA und in Europa Ketamin in Form eines Nasensprays (Esketamin) zur Behandlung von schweren, behandlungsresistenten Depressionen zugelassen.
Wie werden Depressionen gängigerweise behandelt?
Lange hat man in der Therapie von Depressionen ausschließlich auf Antidepressiva gesetzt, weil man die Ursache von Depressionen allein in einem Mangel an Botenstoffen, allen voran Serotonin, sah. Einige Antidepressiva setzen an dieser Stelle an und erhöhen die Konzentration von Serotonin zwischen den Hirnzellen. Mit dieser Wirkungsweise kann vielen Menschen geholfen werden. Bis depressive Menschen eine spürbare Wirkung der Medikamente fühlen, müssen sie die Antidepressiva zwei oder mehr Wochen konsequent einnehmen. Einige Patient:innen halten eine solche Einnahme wegen möglicher Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Kopfschmerzen, Schwindel oder sexueller Dysfunktionen nicht durch.
Wie wirkt Ketamin bei Depressionen?
Ketamin wirkt sich auf verschiedene Weisen auf das Gehirn aus, man hat die Wirkung noch nicht in allen Details erforscht. Wir wissen, dass der Neurotransmitter Glutamat eine wichtige Rolle bei der Stimmungslage spielt. Eine Hypothese zur Wirkung von Ketamin ist, dass es die Aufnahme des Neurotransmitters Glutamat in die Zelle blockiert. Dadurch werden eine Reihe von Prozessen im Gehirn in Gang gesetzt und negative Gefühle wie Hoffnungslosigkeit und Lustlosigkeit werden reduziert.
Durch Depressionen können im Gehirn von Betroffenen die Anzahl und Stärke der Verbindungen (Synapsen) abnehmen. Heißt: Die Kommunikationsautobahnen im Gehirn sind nicht mehr so gut verbunden oder manche Routen sind gar komplett verschwunden. Rachel Katz, Assistenzprofessorin für Psychology an der Yale University, erklärt in einem Video der Universität auf Youtube, dass Ketamin dazu führt, dass wieder mehr Verbindungen im Gehirn entstehen. Das sei ein Grund, warum Ketamin auch Depressiven helfe, bei denen mehrere Antidepressiva keine Wirkung zeigten.
Was sind Vorteile von Ketamin bei Depressionen?
Ketamin bietet Menschen mit schweren Depressionen eine neue Behandlungschance, wenn gängige Antidepressiva ihnen nicht helfen konnten. Ein Vorteil gegenüber Antidepressiva ist, dass Ketamin schnell wirkt – zum Teil schon innerhalb weniger Stunden. Betroffene müssen also nicht erst wochenlang das Medikament nehmen, um eine Wirkung zu spüren. Laut einer Studie aus dem Jahr 2021 sind die Nebenwirkungen von Ketamin relativ gering. Doch eine Behandlung mit Ketamin steht nicht für sich allein. Die Charité informiert darüber, dass nach einer erfolgreichen Behandlung mit Ketamin noch Psychotherapie und/oder die Gabe von Antidepressiva nötig sind, um einen Rückfall in die Depression zu vermeiden.
Was sind die Gefahren der Behandlung von Depressionen mit Ketamin?
In den USA wie auch in Deutschland wird Ketamin in der Behandlung von schweren Depressionen eingesetzt. Ketamin ist in Deutschland verschreibungspflichtig und wird oft in Form von Nasenspray (Eskatamin) genutzt – der Einsatz ist streng reglementiert. Ketamin darf in Europa nur von Ärzt:innen eingesetzt werden und auch die Behandlung darf nur unter ärztlicher Beobachtung erfolgen. Die häufigsten Nebenwirkungen laut einer Studie aus dem Jahr 2021 sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen und ein Gefühl, dass der Körper von den Gedanken getrennt sei. Außerdem kann es zu Gleichgewichtsproblemen, einem veränderten Geschmackssinn oder Psychosen kommen. Häufig ist auch ein Anstieg des Blutdrucks. In seltenen Fällen können auch Panikattacken, Manie und außerkörperliche Erfahrungen auftreten.
Ketamin wird auch als Droge missbraucht. Es kann psychisch abhängig machen und dauerhafter Konsum kann das zentrale Nervensystem schädigen.
Welche Patient:innen sollten nicht mit Ketamin behandelt werden?
Wer neben einer behandlungsresistenten Depression noch unter schlecht eingestelltem Bluthochdruck leidet, eine Schilddrüsenüberfunktion hat oder im ersten Drittel der Schwangerschaft ist, sollte nicht mit Ketamin behandelt werden. Auch Patient:innen, die weitere psychische Probleme wie Persönlichkeitsstörungen oder Suchterkrankungen haben, sollten keine Ketamin-Therapie machen, heißt es ein einem Merkblatt der Charité.
Können depressive Menschen Ketamin zu Hause zur Selbstmedikation einnehmen?
Nein, Ärzt:innen in Europa dürfen das Medikament nicht zur Selbstmedikation verschreiben. In den USA warnte die US-Arzneimittelbehörde FDA im Oktober vor der Selbstmedikation mit Ketamin. Denn in den USA ist ein Problem entstanden: Es haben sich zahlreiche Ketamin-Kliniken gebildet, die sich in einer legalen Grauzone bewegen und Ketamin "off label" nutzen. Sie zweckentfremden es also. Außerdem wird im Internet Ketamin in Form von Tabletten und Nasenspray zur Selbstmedikation angeboten – das ist in den USA allerdings verboten.
Quellen: FDA Zulassung,EMA Zulassung, Columbia University, Studie 2014, Universitätsmedizin Mainz, Max-Planck-Institut, Yale University auf Youtube, FDA Warnung, Studie 2021, Forschung im Jahr 2000, Ärzteblatt, Studie behandlungsresistente Depression, Merkblatt Charité, Deutsche Depressionshilfe, Techniker Krankenkasse,Schlossparkklinik Drimstein, mit Material der DPA, Ärzteblatt 2