Krieg in Nahost: Will Israel den Gazastreifen zerstören? Aussagen aus dem Netz im Faktencheck
Während sich Israel und die Hamas mit Raketen und Drohnen bekriegen, tobt im Netz ein Kampf um die Positionen in dem Konflikt. Personen, die sich selbst als Journalisten bezeichnen, verbreiten Informationen, um den Blick auf die Kriegsparteien zu verzerren. Ein paar Beispiele.
In dem blutigen Krieg zwischen Israel und der militanten Hamas toben online Gefechte um Meinungen und Positionen. Pro-palästinensische Gruppierungen und Teile der linken Szene geben Israel mit Verweis auf die Geschichte die Schuld an dem Krieg. Manche werfen dem Land sogar vor, einen Genozid in Gaza zu verüben. Tatsächlich ist die Lage in Nahost komplexer, als von einigen dargestellt; das zeigt unter anderem die verworrene Siedlungsgeschichte der Region.
Die Bilder verletzter und getöteter Zivilisten sowie die zerbombten Häuser im Gazastreifen nähren insbesondere unter Israel-Kritikern Stimmen, die allein Israel für den Konflikt in der Region und das Leid der Palästinenser verantwortlich machen. Dabei darf sich das Land laut und im Rahmen des Völkerrechts gegen die Angriffe der Hamas vom 7. Oktober verteidigen.STERN PAID 46_23 IV Wolfgang Ischinger Israel Staatsräson
Im Netz kursieren allerdings unzählige Posts, die einen Genozid im Gazastreifen belegen sollen. Der Autor und ehemalige Journalist Tarek Bae beispielsweise hat auf Instagram Zitate von israelischen Politikern und Militär-Mitgliedern verbreitet. Er selbst ist Mitglied der Stiftung für politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Forschung (Seta), die der türkischen Regierung nahesteht. Sie sitzt in Berlin und dient ausdrücklich dazu, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Bae setzt sich für alte türkisch-islamische Verbandsstrukturen ein; sein Vorbild ist der türkisch-islamische Verband Ditib. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Hamas als "Befreiungsgruppe" bezeichnet, "die für den Schutz ihres Landes und ihrer Bürger" kämpfe. Die Beziehungen zum israelischen Ministerpräsidenten will Erdogan abbrechen.
Das von Autor Bae auf Instagram vermittelte Bild über die Pläne Israels für den Gazastreifen sind eindeutig: Der Küstenstreifen soll komplett zerstört werden, ohne Rücksicht auf die Zivilisten. Der stern hat einige dieser Zitate einem Faktencheck unterzogen und überprüft, woher die Aussagen stammen und in welchem Zusammenhang sie eigentlich stehen.
Will Israels Regierung Gaza wirklich ruinieren?
Behauptung: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu will den Gazastreifen komplett zerstören. Eine Kachel, die Bae auf seinem Instagram-Account veröffentlicht hat, zeigt ein Zitat des israelischen Ministerpräsidenten, das angeblich aus einer Fernsehansprache vom 8. Oktober 2023 stammen soll. Netanjahu soll demnach gesagt haben: "Wir werden Gaza zu einer Insel aus Ruinen machen."
Bewertung: Falsch. Die Aussage wurde aus dem Zusammenhang gerissen.
Die Fakten: Benjamin Netanjahu hatte sich am 7. Oktober, dem Tag des blutigen Angriffs der Hamas auf Israel, bei dem mehr als 1400 Menschen getötet und mehr als 200 verschleppt wurden, in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung in Israel gewandt. Das dazugehörige Transkript der Rede ist auf der Seite der israelischen Regierung zu finden und öffentlich einsehbar. Darin macht Netanjahu von Beginn an deutlich, dass sich die israelischen Vergeltungsanschläge allein gegen die Organisation Hamas richten. Das im Netz verbreitete Zitat ist unvollständig und auch nur sinngemäß übersetzt. Laut dem Transkript soll Netanjahu gesagt haben: "Alle Orte, an denen die Hamas stationiert ist, sich versteckt und operiert, diese verruchte Stadt, werden wir in Schutt und Asche legen." Anschließend rief er die Bewohner des Gazastreifens auf: "Geht jetzt, denn wir werden überall mit Gewalt vorgehen."
Das Transkript wurde am 7. Oktober von der israelischen Regierung veröffentlicht, am Tag darauf aber noch einmal aktualisiert. Änderungen lassen sich nicht mehr zurückverfolgen. In einem Zusammenschnitt der Rede, die der US-Sender NBC News veröffentlicht hat, wird Netanjahu mit ähnlichen Worten zitiert: "Die israelischen Verteidigungskräfte werden sofort ihre ganze Kraft darauf richten, die Hamas zu zerstören. Wir werden sie zerstören und üben Vergeltung für diesen schwarzen Tag."Korr Israel Hamas und Schifa-Krankenhaus
Der Generalmajor, der die Hölle verspricht
Behauptung: Armeemitglied Ghassan Alian kündigt die Hölle für die Menschen im Gazastreifen an. Der Generalmajor der israelischen Armee soll laut Baes Post Folgendes gesagt haben: "Tiermenschen werden entsprechend behandelt, ihr wolltet die Hölle und ihr kriegt die Hölle." Das Zitat soll laut Bae am 9. Oktober über die sozialen Medien verbreitet worden sein.
Bewertung: Nicht ganz korrekt. Die Aussage bezieht sich auf die Hamas und ihre Unterstützer.
Die Fakten: Tatsächlich stammt es aus einem Video vom 10. Oktober, das auf X (vormals Twitter) und Instagram kursiert. In dem Beitrag wendet sich Alian an die Hamas und die Bevölkerung des Gazastreifens und kritisiert die Entführung, Folter und Ermordung von Kindern, Frauen und älteren Menschen als unmenschlich. "Dafür gibt es keine Rechtfertigung! Die Hamas wurde zu ISIS und die Bürger von Gaza feiern, anstatt entsetzt zu sein. Menschliche Monster werden entsprechend behandelt." Israel habe den Gazastreifen von der Versorgung mit Wasser und Elektrizität abgeschnitten. "Ihr wolltet die Hölle, ihr bekommt die Hölle", endet Alian seinen Beitrag.
In einer weiteren Rede vom 9. Oktober 2023 fand Israels Premier Benjamin Netanjahu ähnliche Worte. "Dieser Krieg wurde uns von einem gefürchteten Feind aufgezwungen, Tiere, die Frauen, Kinder und Alte töten." Israel habe immer gewusst, wer die Hamas sei, "jetzt weiß die ganze Welt, dass die Hamas ISIS ist und wir werden sie besiegen, genau wie die westliche Welt ISIS, diesen schrecklichen Feind, besiegt hat."
Der Armeesprecher, der den Gazastreifen zerstören will
Behauptung: Israels Armee soll den Gazastreifen ohne Rücksicht auf die Zivilisten bombardieren. Armeesprecher Daniel Hagari wird folgendes Zitat vom 10. Oktober zugeschrieben: "Wir werfen hunderte Tonnen von Bomben auf Gaza. Der Fokus liegt auf Zerstörung, nicht auf Genauigkeit." Das soll Hagari der israelischen Tageszeitung "Haaretz" gesagt haben.
Bewertung: Nicht ganz eindeutig. Mehrere Medien, darunter der "Guardian", nutzen die zweite Hälfte der Aussage zwar in ihren Berichten, allerdings wird sie nicht immer dem Armeesprecher, sondern der israelischen Verteidigung als Organisation zugeschrieben.
Die Fakten: Auf der Webseite des israelischen Verteidigungsministeriums sind die täglichen Verteidigungsberichte des IDF öffentlich einsehbar, allerdings finden sich die verbreiteten Aussagen darin nicht wieder. Auch auf dem Instagram- oder Twitter-Kanal des Armeesprechers finden sich keine Beiträge mit entsprechenden Hinweisen. Israels Regierung und Armee haben die Zivilisten im Gazastreifen immer wieder dazu aufgefordert, den Norden wegen der angekündigten Bodenoffensive zu verlassen. Die Armee will die Korridore Richtung Süden für Zivilisten nach aktuellem Stand aber weiter offen halten.
Knesset-Abgeordnete fordert Atombombe auf Gaza
Behauptung: Die Parlamentsabgeordnete der rechtskonservativen Likud-Partei, Tally Gotliv, fordert Atomwaffen auf den Gazastreifen abzufeuern. "Jericho-Rakete! Weltuntergangswaffe! Das ist meine Meinung. Mächtige Raketen sollen ohne Grenzen abgefeuert, Gaza zerschlagen und dem Erdboden gleichgemacht werden. Ohne Gnade!", soll die Knesset-Abgeordnete am 9. Oktober auf der Plattform X geschrieben haben.Faktencheck: Atomschlag auf Gazastreifen?
Bewertung: Das ist korrekt. Die entsprechenden Posts wurden wegen Verstößen gegen die Regeln zur gewaltfreien Formulierung auf der Plattform X zwar eingeschränkt, sind aber noch zu finden.
Die Fakten: Mitglieder der rechtskonservativen Likud-Partei, der Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vorsteht, waren zuletzt immer wieder mit teils drastischen Aussagen zum Gazastreifen aufgefallen. Gotliv rief zwei Tage nach dem blutigen Überfall der Hamas auf Israel nach einer "Jericho-Rakete". Am 10. Oktober schrieb sie: "Nur eine Explosion, die den Nahen Osten erschüttert, wird die Würde, Stärke und Sicherheit dieses Landes wiederherstellen! (...) Gaza wird zerstört und dem Erdboden gleichgemacht" und fügte hinzu, das Leben israelischer Soldaten sei wichtiger "als das Leben aller Menschen in Gaza".
Auch der rechtsextreme israelische Minister für Kulturerbe, Amichai Elijahu, nannte die Atombombe "eine der Optionen" im Krieg gegen die Hamas. Dafür erntete der Politiker Kritik – auch von Netanjahu. Zuletzt forderte der Parlamentsabgeordnete Ariel Kallner eine "Nakba" wie sie zuletzt 1948 stattfand. Kallner spielte in seinem Post auf X auf die teils blutige Vertreibung der Palästinenser aus heute israelischem Staatsgebiet nach dem Zweiten Weltkrieg an.
Quellen: X (vormals Twitter), "Haaretz", "The Guardian", Instagram, CNBC, "Tagesspiegel", NBC, Israelische Regierungswebseite