"Schutzengel der Meere": Tag der Seenotrettung: Wo wir stehen – und wie sich die Lage im Mittelmeer verbessern kann
Seenotrettung ist überlebenswichtig. Vor allem im Mittelmeer kommt es immer wieder zu brenzlichen Rettungsaktionen. Der Chef einer NGO sagt, die Zahl der Todesfälle steigt. Wie sind wir aufgestellt, wenn die Seenot kommt?
Sie nennen sich selbst "Schutzengel der Meere" – und retten seit nunmehr 25 Jahren Menschen in der Nord- und Ostsee: Die Seenotretter der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Einmal im Jahr öffnen sie ihre Türen, um über ihre Arbeit zu informieren.
Eine Arbeit, die zahlreiche Leben rettet und gleichzeitig mit vielen Herausforderungen einhergeht. Aber wie steht es eigentlich um die Seenotrettung in Deutschland und Europa? Pünktlich zum Tag der Seenotrettung werfen wir einen Blick auf ein Thema, das viel zu oft übersehen wird.
PAID Aus für private Seenotretter 07.01
Beginnen wir vor unserer eigenen Haustür, an der Küste von Nord- und Ostsee, dem Einsatzgebiet von den Seenotrettern der DGzRS. Rund fünf Mal täglich fährt eine Crew aus wechselnden Mitgliedern der insgesamt 180 Festangestellten und rund 800 Freiwilligen raus, um Menschen zu retten, die in Seenot geraten sind. Insgesamt haben die Helfer dabei im vergangenen Jahr mehr als 3000 Menschen gerettet. Nicht alle von ihnen schwebten in Lebensgefahr, manche benötigten stattdessen Gesundheitsversorgung oder die Bergung eines liegengebliebenen Schiffes. Seenotrettung in Deutschland ist vielfältig.
Einsatz zwischen Leben und Tod
Eines aber bleibt immer gleich: Der Job eines Seenotretters ist fordernd - und gefährlich. Sie fahren bei Wind und Wetter raus und begeben sich in Gefahrenlagen, um andere rauszuholen. Manche Schiffe sind rund um die Uhr besetzt. Der ehemalige Vormann Michael Müller wird in einem "NDR"-Bericht so zitiert: "Auf dem Schiff findet das ganze Leben statt. Wir haben unsere Mahlzeiten zusammen, und wir schlafen auch an Bord. Kochen, Saubermachen, das findet alles auf dem Schiff statt."
Das ist eine Praxis, die auch ein paar hundert Kilometer weiter südlich bei der zivilen Seenotrettung angewendet wird. Allerdings geht es im Mittelmeer oft um Leben und Tod – ein Balanceakt, der elementarer nicht sein könnte. Immer wieder spielen sich in den Gewässern Szenarien ab, bei denen die Seenotretter die einzige Chance für Flüchtende sind, die auf überfüllten Booten versuchen, ein neues Leben zu beginnen.
STERN PAID Seenotrettung „SOS Humanity“ 17.26
Eine Reise, die immer wieder schiefgeht. Erst im Juni kam es zu einem verheerenden Bootsunglück vor der Küste Griechenlands, bei dem ein völlig überbesetztes Boot mit mehr als 700 Flüchtenden kenterte – nur etwas mehr als 100 Menschen konnten gerettet werden. Jeder einzelne dieser Menschen verdankt sein Leben der Seenotrettung.
Herausforderungen in der Seenotrettung
Die wird mittlerweile von zahlreichen Hilfsorganisationen im Mittelmeer betrieben, zu den bekanntesten von ihnen gehören Sea-Watch, Mission Lifeline und die SOS Humanity. Der Grund dafür ist simpel: Das Mittelmeer gilt als beliebte Flüchtlingsroute. Allein in der ersten Jahreshälfte 2023 kamen laut Daten der UNO-Flüchtlingshilfe rund 57.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa, knapp 1000 von ihnen gelten noch als vermisst.
Um möglichst viele Menschen retten zu können, sind die NGO`s, die sich oft um die Seenotrettung kümmern, auf eine gute Zusammenarbeit mit den Staaten angewiesen, in deren Hoheitsgewässer die Rettungsaktion stattfinden soll. In Deutschland ist das einfach, im Mittelmeer wird das Ganze allerdings komplexer. Deshalb kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Anlegeverboten und tagelangen Irrfahrten vor der Küste. Und das sogar legal, denn das Seerecht verpflichtet Staaten zwar zur Rettung Seenotleidender aber nicht zur Aufnahme der Geretteten.
PAID Seenotrettung Fünf Wochen "Humanity 1" 14.48
Für die Helfer auf den Schiffen bedeutet das oft diskutieren, verhandeln und im Zweifel auf dem Schiff ausharren, bis ein sicherer Hafen gefunden ist. Und das ist nicht die einzige Herausforderung, die Seenotrettern die Arbeit erschwert. Das größte Problem ist oft die Finanzierung der Rettungsaktionen. Viele NGO`s setzen einzig auf Spenden, um ihre lebensrettende Tätigkeit zu finanzieren.
"Deutlicher Anstieg an Überfahrten – und Todesfällen"
Aus diesem Grund fordert die UNO-Flüchtlingshilfe auch eine eigene EU-Rettungsmission ins Leben zu rufen, um die Kapazitäten für Rettungsaktionen im Mittelmeer auszubauen. Ähnliche Forderungen kommen auch aus Deutschland, genauer gesagt von den Jungen Grünen. Mecklenburg-Vorpommerns Landessprecherin Bellis Stemmermann sagte dazu: "Seenotrettung darf nicht von nicht-staatlichen Organisationen abhängig sein." Sie fordert mehr politische Verantwortung für das Thema.
Und einen kleinen Schritt in diese Richtung ist das EU-Parlament sogar schon gegangen: Als Reaktion auf das verheerende Bootsunglück Anfang Juni wurde eine Resolution verabschiedet. Darin wird gefordert, dass die Staaten und die europäische Grenzschutzagentur Frontex Ausrüstung, Personal und Schiffe für die Seenotrettung bereitstellen sollen. Jetzt liegt es an den Staaten, der Forderung Taten folgen zu lassen.
Wie wichtig es ist, die Seenotrettung aufzustocken, berichtet Till Rummenhohl, Geschäftsführer von SOS Humanity im Interview mit der UNO-Flüchtlingshilfe: "Derzeit beobachten wir wieder einen deutlichen Anstieg an Überfahrten, und leider auch an Todesfällen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind so viele Menschen im zentralen Mittelmeer ertrunken, wie seit 2017 nicht mehr. Das zeigt, wie wichtig die Präsenz von Rettungsschiffen im zentralen Mittelmeer ist."
Zurück nach Deutschland. Nicht nur im Mittelmeer ist die Arbeit der Seenotretter elementar – auch hierzulande leisten sie wertvolle Dienste für die Allgemeinheit, die gerne mal übersehen werden. Umso wichtiger sind Tage wie dieser, um daran zu erinnern, wie wertvoll Menschen sind, die bereit sind, zum Schutz anderer über eigene Grenzen zu gehen – am Land und zu Wasser.
Quelle: Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, NDR, UNO-Flüchtlingshilfe, Deutsche Presse-Agentur,