Neues Gesetz: Klimaaktivisten gehen britischer Regierung auf den Geist – die will den "selbstsüchtigen Saboteuren das Handwerk legen"
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Die Proteste der Klimaaktivisten gehen der britischen Regierung zu weit. Jetzt soll die Polizei härter durchgreifen. Experten glauben, dass die Demonstrationen dadurch richtig eskalieren.
Cameron Ford will sich für eine effektivere Klimaschutzpolitik einsetzen – ohne dafür im Gefängnis zu landen. Doch genau das droht Klimaaktivisten nun in Großbritannien. Wie andere auch, hatte der 32-jährige Tischler zusammen mit seinen Mitstreitern im letzten Jahr Hauptstraßen und Autobahnen blockiert, sich an Öltanker gekettet. Andere gingen viel weiter, untertunnelten große Infrastrukturprojekte, bewarfen bekannte Kunstwerke mit Suppe. Die britische Regierung unter Premierminister Rishi Sunak will schon eine Weile härter gegen Klimaprotestler vorgehen.
Protestmärsche gehen der britischen Regierung offenbar zu weit. Deshalb schlug sie vor, das Langsamgehen zur Behinderung des Straßenverkehrs zu verbieten – und scheiterte. Im Oberhaus wurde der Vorschlag im vergangenen Jahr abgewiesen.STERN PAID Interview Letzte Generation Klimaaktivist 20.00
Nun hat Großbritanniens Innenministerin Suella Braverman eine andere Rechtsverordnung durchs Parlament gebracht. Das Gesetz ist seit dem 28. April in Kraft und erlaubt Polizisten, Verdächtige anzuhalten und zu durchsuchen. Auch dürfen sie bestimmte Personen von den Klimaprotesten ausschließen. "Egoistische Demonstranten stören das tägliche Leben der Menschen im ganzen Land, und das muss gestoppt werden", sagte Braverman laut einer Mitteilung. Aktivisten, die wichtige Straßen, Flughäfen oder Autobahnen blockieren, müssen zudem mit einer Haftstrafe von bis zu knapp einem Jahr rechnen. Sich anzuketten gilt ebenfalls als Straftat, die mit einer sechs-monatigen Haftstrafe geahndet werden kann. Auch unbegrenzte Geldstrafen sind möglich.
Im Wahlprogramm 2019, mit dem die Regierung ihr Mandat erhielt, stand von all dem noch nichts. Bürgerrechtler warnten vor Monaten, die konservative Regierung führe das Land in den Autoritarismus. "Es ist die Art von Gesetzgebung, die man in Russland, Iran, Ägypten oder China erwarten würde", kritisierte der Journalist und Umweltschützer George Monbiot Monate bevor das Gesetz im Parlament abgesegnet wurde.
Kritiker sehen Grundrecht auf friedlichen Protest bedroht
Es ist nicht das erste Mal, dass die Regierung gegen Proteste vorgeht, die sie als störend erachtet. 2022 wurde der Police, Crime, Sentencing, and Courts Act (PCSC) verabschiedet. Polizisten dürfen demnach Zeit- und Lärmbedinungen für Demonstrationen festlegen, unabhängig davon, wie viele Menschen teilnehmen.
Als die Vorschläge für das neue Gesetz vor fast einem Jahr öffentlich wurden, sprach Jodie Beck von der Bürgerrechtsorganisation Liberty von "äußerst drakonischen Maßnahmen". Das Gesetz habe das Potenzial, historische Taktiken der zivilen Widerstandsbewegung zu beseitigen. "Wenn wir jetzt gegen eine bestimmte Taktik vorgehen, hat das tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Proteste für die Rechte insgesamt, egal, was unser Anliegen ist", sagte sie dem Magazin "Time".
Auch im Parlament regten sich kritische Stimmen. Der Gemeinsame Ausschuss für Menschenrechte im britischen Parlament bezeichnete die Pläne in einem Bericht als "eine inakzeptable Bedrohung für das Grundrecht auf friedlichen Protest". Die britische Regierung könnte so in Konflikt mit der Europäischen Menschenrechtskonvention geraten.PAID Großbritannien: 100 Tage Rishi Sunak 21.00
Das britische Innenministerium reagiert gelassen. In einer schriftlichen Antwort teilte eine Sprecherin mit, dass das Recht auf Protest ein "fundamentales Prinzip" der britischen Demokratie bleibe, aber "die Art von Aktivitäten, die wir in letzter Zeit gesehen haben, sind kriminelle Handlungen, und die egoistische Mehrheit, die unsere Rettungsdienste von ihren rettenden Aufgaben abhält und die Polizeiressourcen aufbraucht, muss angemessen bestraft werden".
Neues Gesetz möglicherweise nicht zielführend
Wissenschaftler glauben, dass das neue Gesetz eher dazu führt, dass künftige Proteste eskalieren. Stephen Reicher, Professor für Sozialpsychologie an der Universität St. Andrews, hat schon Anfang der 2000er untersucht, wie sich verschiedene Formen von polizeilichem Umgang mit Menschenmengen auswirken.
"Wenn die Polizei Handlungen verhindert, die jeder in der Menge als ein Grundrecht ansieht, kann sie selbst die unterschiedlichsten und zerstrittensten Menschen gegen sich vereinen", schreibt der Forscher in einem Gastbeitrag im "Guardian". Die Polizei könnte somit zum gesellschaftlichen Feindbild werden, ihre bloße Anwesenheit ausreichen, "um Misstrauen und Ressentiments zu wecken". Gleichzeitig befürchtet Reicher, dass viele Menschen von den Protesten abgehalten werden, wenn es zu Konflikten kommt. An den Aktionen könnten letztendlich nur noch diejenigen teilnehmen, "die sich im Kampf wohlfühlen". Dies widerspräche nicht nur dem Gebot, wonach sich alle Mitglieder einer Gesellschaft an Protesten beteiligen können sollten. Konflikte und Auseinandersetzungen würden so wahrscheinlicher.
Sunak: "Öffentlichkeit will, dass wir selbstsüchtigen Saboteuren das Handwerk legen"
Aktivist Cameron Ford hält das neue Gesetz für übertrieben. "Die Polizei hat die Befugnis, uns von der Straße zu entfernen, und das hat sie auch getan." Weil er bei Demonstrationen den Straßenverkehr behindert und die Öffentlichkeit damit verärgert hatte, wurde Ford bereits sechsmal festgenommen. Er glaubt, dass es der Regierung weniger darum geht, die Polizei mit neuen Befugnissen auszustatten, als vielmehr die Demonstranten "in den Augen der Öffentlichkeit zu Kriminellen zu machen".
Der Plan könnte aufgehen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov vom November 2022 lehnten 62 Prozent der Briten die Methoden der Bewegung Just Stop Oil ab. Zwar würden die meisten Briten das Anliegen der Aktivisten unterstützen. Mit den Aktionen sind sie aber nicht einverstanden.FS Letzte Generation in Berlin 1830
Großbritanniens Premie Rishi Sunak sieht sich darin offenbar bestätigt, als er im Gespräch mit der "Sun on Sunday" gegen die Klimaaktivisten poltert: "Die Öffentlichkeit will, dass wir selbstsüchtigen Saboteuren, die ihr Leben stören, das Handwerk legen – und ich will das auch." Die Menschen im Land verdienten, "dass gesetzestreue Bürger vor einer Minderheit geschützt werden, die ihnen ihr Leben madig machen will".
Allerdings könnte es der Regierung auch um ein königliches Ereignis gegangen sein, das in keinem Fall von Protestaktionen überschattet werden soll. "Den Menschen in Großbritannien steht ein herrlicher Sommer der Feierlichkeiten bevor", sagte Sunak mit Blick auf die Krönung von König Charles III. "Mit unseren neuen Gesetzen werden wir zugunsten der Mehrheit gegen die Minderheit durchgreifen", kündigte er an.
Klimaaktivisten wie Ford dürfte das allerdings nicht aufhalten. "Wenn [der Klimakollaps] das ist, was uns bevorsteht, glaube ich, dass das Einzige, was uns einschränken würde, die Todesstrafe ist, denn die Alternative dazu, dass wir nicht aufstehen, ist der Tod".
Quellen: Bericht Britisches Parlament, Bericht House of Commons House of Lords, "Time", "The Guradian", "The Sun on Sunday", Britische Regierung, Police, Crime, Sentencing and Courts Bill, YouGov, Studie "Public Order Policing", mit Material von DPA