Chip-Markt: Vom König zum Lakaien: Intels verzweifelter Rettungsversuch
Bei der Entwicklung hinterher, eine wachsende Konkurrenz und der Verlust von Apple als einen der wichtigsten Kunden: Der einstige Prozessor-König Intel durchlebt gerade schwere Zeiten. Nun kündigt man eine gewagte Gegenmaßnahme an, die früher undenkbar schien.
Intel Inside: Das prangte lange auf jedem ernstzunehmenden Computer. Doch seit einigen Jahren schrumpft die Vorherrschaft des Prozessor-Königs immer weiter. Während die Konkurrenz immer stärker wurde, verschlief der Konzern wichtige Veränderungen, die einst so wichtige Innovation blieb aus. Nun scheint ein Weckruf gehört worden zu sein. Und Intel will sich mit einer Maßnahme retten, die früher wohl als Verzweiflung gesehen worden wäre.
Auf der Oberfläche scheint die Entscheidung in erster Linie eine Reaktion auf den aktuellen Markt zu sein: Die Chip-Produktion weltweit leidet unter Engpässen. Während immer mehr Geräte eine stetig steigende Zahl von Chips verbauen und zudem die Corona-Krise die Nachfrage nach Laptops und Tablets nach oben treibt, kommt die Produktion nicht hinterher. Ein Grund dafür ist, dass der Bau neuer Chip-Fabriken sehr langwierig ist. Dass Intel nun in zwei neue Produktionsstätten in Arizona 20 Milliarden US-Dollar investieren und 15.000 Arbeitsplätze schaffen will, scheint da ein logischer Schritt. Doch tatsächlich steckt dahinter nicht weniger als ein Paradigmen-Wechsel für den Konzern.
Intel will Auftragsfertiger werden
Die neue Strategie wurde gestern von Intel-CEO Pat Gelsinger angekündigt. Und sie kommt trotz des unscheinbar-technisch erscheinenden Namens "IMD 2.0" einer Revolution gleich. Statt wie bisher alle Chips selbst zu entwickeln, die der Konzern seinen Kunden um die ganze Welt verkauft, will man zukünftig auch als reiner Fertiger herhalten - und Prozessoren aus der Entwicklung anderer Konzerne im Auftrag bauen. Der Anspruch, die besten Chips der Welt zu entwickeln, ist damit wohl offiziell erledigt. Und doch dürfte es Intels einzige Chance sein, die Fehler der Vergangenheit wieder auszubügeln.PAID Mac Analyse 7.45 Uhr
Dass Intel in der Krise steckt, ist auf den ersten Blick nicht sofort zu erkennen. Die Gewinne steigen seit Jahren konsequent, vor allem im letzten Jahr hatte Intel wie der Rest der Branche massiv vom Homeoffice-Boom profitiert, gut acht Prozent war der Umsatz 2020 nach oben gegangen. Mit 77,87 Milliarden Dollar Einnahmen hatte der Konzern das beste Jahr seiner Geschichte gehabt - zumindest finanziell. Doch zur Wahrheit gehört auch: Die Zeiten von Intels seit Jahrzehnten anhaltender Übermacht auf dem Prozessor-Markt gehen langsam, aber sicher dem Ende zu.
Unsichtbarer Abstieg
Das hat gleich mehrere Gründe. Zum einen ist da der Aufstieg von Smartphones und Tablets. Während die dem klassischen Computer den Rang abgelaufen haben, hatte Intel den wachsenden Markt zunächst verschlafen. Als dann irgendwann erste Smartphones mit Intel-Prozessor erschienen, war es zu spät: Statt der von Intel genutzten X86-Plattform hatten sich die weniger Energie-hungrigen ARM-Chips durchgesetzt. Und damit neue Player geschaffen: Die Chip-Hersteller Qualcomm und TSMC verdanken ihren kometenhaften Aufstieg in den letzten Jahren vor allem dem ARM-Geschäft. Und sie kommen Intel näher: Mit 47,78 Milliarden Dollar Umsatz lag TSMC zwar noch deutlich hinter dem Platzhirsch. Doch das Wachstum fiel mit über 25 Prozent deutlich stärker aus. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis TSMC an Intel vorbei zieht.
Doch auch in der eigenen Domäne, dem PC-Prozessor, ist Intel aktuell auf dem absteigenden Ast. Der einzige ernstzunehmende Konkurrent AMD war jahrelang nur Enthusiasten ein Begriff und stand auch bei denen eher für günstige Preise als für Spitzenleistung. Wer das Beste wollte, kaufte Intel. Dieser Vorsprung ist dahin. Mit der Vorstellung des AMD Ryzen im Jahr 2017 hat sich das Blatt gegen Intel gewendet. AMDs Chips sind nicht mehr nur günstiger, sie bieten oft auch mehr Leistung. Und das bei weniger Stromverbrauch.
Das Comeback kam für Intel zum denkbar schlechtesten Moment. Der jahrelang für Innovation stehende Konzern schafft es nicht, bei den immer weiter schrumpfenden Chips mitzuhalten. Das rächt sich nun: Während Intel immer noch mit Macken bei der Produktion auf 10 Nanometer (nm) zu kämpfen hat, verdichtet AMD längst weiter und kann bereits Chips in 7-nm-Bauweise liefern. Das wird Intel frühestens nächstes Jahr gelingen, gab der Konzern im Januar zerknirscht zu.
Vom Kunden zum Konkurrent
Die Probleme bei der Entwicklung eigener, moderner Chips dürfte nun den härtesten Schlag des Unternehmens zumindest mit verursacht haben: Apple hatte das Warten satt und kündigte im letzten Sommer an, seine eigenen Prozessoren entwickelt zu haben. Intel musste nicht nur mit ansehen, wie das wertvollste Unternehmen mit in den Ring für Computer-Prozessoren stieg. Sondern verlor auch gleich einen seiner wichtigsten Kunden.
Dabei wäre Apple schon als Konkurrent gefährlich genug. Weil der Konzern seine Software und Hardware beim iPhone seit Jahren komplett selbst entwickelt, konnte er sie auch viel stärker aufeinander optimieren, als das den anderen Herstellern möglich war. Die Folge: Seit Jahren rennen die A-Prozessoren des iPhones den Konkurrenten gnadenlos davon. Und auch bei den im Herbst vorgestellten ersten Mac-Rechnern mit dem selbst entwickelten M1-Prozessor auf ARM-Basis zeichnete sich ein ähnliches Bild: Apple erreicht mit ihnen nicht nur deutlich bessere Rechenleistung als bei den bisherigen Modellen mit Intel-Prozessoren. Das Macbook Air kann dabei zusätzlich sogar komplett auf einen Lüfter verzichten, gleichzeitig steigt die Laufzeit auf bis zu 20 Stunden.Apple KI Longread 10.16
Noch mehr als die ausfallenden Verkäufe an Apple dürfte Intel die Signalwirkung von Apples Umstieg fürchten. Nicht nur hatte Apple als Neuling auf dem Markt die Leistung der Intel-Chips vor den Augen der Käufer deklassiert. Dem Konzern war es auch noch gelungen, anders als Intel oder AMD sogar schon Chips im 5nm-Verfahren zu entwerfen. Eine Ohrfeige für die Intel-Ingenieure. Ein fast noch größeres Problem: Apple führt mit seinen M-Chips vor, dass es auch auf dem Desktop keine X86-Lösung braucht und ARM eine gleichwertige Alternative sein kann. Bisher war es eher als Stiefkind für Mobilgeräte und Tablets gesehen worden. Sollten nun tatsächlich die wichtigsten Programme für die Architektur angepasst werden, könnte sich aber irgendwann Intels x86-Architektur zum Außenseiter entwickeln.
"Kühne Strategie"
Mit der auch von Microsoft Satya Nadella als "kühn" gelobten neuen Strategie macht sich Intel daher auch bereit für diese Möglichkeit. Statt das Schicksal des Konzerns an das eigene Innovationsvermögen zu koppeln, könnte Intel dann auch seine Erfahrung und seine großen Kapazitäten für die Chip-Produktion ausnutzen, um in dem sich verändernden Markt zu bestehen. Auch Apple könne man sich so als Kunden vorstellen, warb CEO Gelsinger bei der Vorstellung. Und das, obwohl der Konzern den neuen Konkurrenten gerade in einer Serie von Werbespots gezielt attackiert hatte.
Ob der neue Weg aber auch eine langfristige Perspektive ist, wird sich zeigen müssen. Der Markt ist hart umkämpft, Intel ist bei den Auftragsfertigern einer von vielen. Beim letzten Versuch, sich in dem Bereich zu etablieren, war Intel vor knapp sieben Jahren gescheitert. Einer der Gründe: Man hatte die eigene Produktion gegenüber der der Kunden priorisiert. Das werde diesmal nicht der Fall sein, versicherte Gelsinger. Man werde die Strategie diesmal "viel aggressiver verfolgen". Viele andere Optionen werden aber auch kaum bleiben. "Intel ist wieder da", bekräftigte der Konzernleiter zwar am Ende seiner Rede. Dass er das nach einem Rekordjahr sagen muss, zeigt, wie ernst die Lage ist.
Quellen: Intel, New York Times, Yahoo, Statista, Wirtschaftswoche