Impfdesaster: Schneckentempo statt Warp Speed: US-Taskforce-Chef erklärt, was Europa falsch macht
![Impfdesaster: Schneckentempo statt Warp Speed: US-Taskforce-Chef erklärt, was Europa falsch macht](http://image.stern.de/30443622/t/vs/v1/w480/r1/-/moncef-slaoui.jpg)
Die Amerikaner impfen, was das Zeug hält – Europa stolpert in die dritte Welle. Der Ex-Chef von Donald Trumps "Operation Warp Speed" erklärt in den USA die Fehler der europäischen Impfkampagne.
So können sich die Dinge drehen: Lange beobachteten die Europäer mit Entsetzen das katastrophale Corona-Krisenmanagement der USA. Nun sind es die Amerikaner, die mitleidig über den großen Teich schauen. Zwar ist auch in den USA noch längst nicht alles gut, die Fallzahlen nach wie vor hoch. Doch die Impfkampagne kommt mit so großen Schritten voran, dass die Pandemie schon im Sommer überwunden sein kann. In Deutschland und anderen europäischen Ländern dagegen läuft die Immunisierung der Bevölkerung so schleppend, dass zunächst mal eine schlimme dritte Welle droht. In den USA hat schon fast jeder Vierte eine erste Impfung erhalten, in Europa gerade mal jeder Zehnte.
Was läuft da nur falsch in Europa und warum?, fragt sich etwa die New York Times in einem aktuellen Artikel. Die Antwort liefert der Mann, der die US-Impfkampagne früh auf die richtigen Gleise gesetzt hat: Moncef Slaoui, vom Ex-Präsidenten Donald Trump im Mai 2020 ernannt zum Chef der "Operation Warp Speed", der nationalen Kraftanstrengung bei der Impfstoffentwicklung gegen das Coronavirus. PAID Corona Aerosol Fliegen - 12.30 Uhr
Zu passiv, zu langsam, zu ungeschickt
Der Grundfehler der Europäer, sagt Slaoui, ist einer, den man eigentlich eher im ur-kapitalistischen Amerika erwartet hätte: Sie haben zu sehr darauf vertraut, dass der Markt es schon richten wird und sich selbst in die Rolle des Kunden begeben. "Sie haben angenommen, dass es ausreicht, einfach nur Verträge zur Impfstoffbeschaffung zu schließen", sagte Slaoui laut New York Times. "Tatsächlich war es sehr wichtig, ein aktiver Partner in der Entwicklung und Produktion des Impfstoffs zu sein. Und dies sehr früh."
Unter den vielen fragwürdigen Personalentscheidungen Trumps erwies sich Slaoui als Glücksgriff für die Amerikaner. Denn während die Europäer zögerten, setzte der ehemalige Chef der Impfstoffabteilung des Pharmariesen GlaxoSmithKline auf Tempo. Ausgestattet mit einem Budget von 10 Milliarden US-Dollar, investierte Slaoui im Namen der US-Regierung ohne Blick auf die Kosten in die Impfstoffindustrie. Zwar gab es auch in Europa finanzielle Förderung für Impfstoffhersteller. Doch das Ganze hatte eher den Charakter einer klassischen Forschungsförderung. Die Europäer blieben so gegenüber den Herstellern in der Rolle eines Kunden, die US-Regierung handelte wie ein gleichwertiger Geschäftspartner.
Zudem erwies sich Ex-Pharmamanager Slaoui und seine Taskforce als wesentlich geschickterer Verhandler als die EU-Kommission mit ihren zähen Abstimmungsprozessen. Statt endlos Preise zu verhandeln und um Haftungsrisiken zu feilschen, bestellten die USA schnell große Mengen auf eigenes Risiko. Und hatten dabei auch etwas Glück, auf die richtigen Pferde gesetzt zu haben, während von den Europäern favorisierte Impfstoffkandidaten wie der des französischen Konzerns Sanofi in den Tests nicht die erwünschten Erfolge ergaben.
Das Zaudern geht weiter
Die Europäer haben zwar mittlerweile mehr als genug Impfstoff bestellt, um alle Bürger impfen zu lassen. Doch sie werden eben später beliefert als Amerikaner und Briten, die ähnlich forsch vorgingen wie die USA. Oder, wie Oberimpfstoffbeschaffer Slaoui es ausdrückt: "Wenn du von Tag eins an am Tisch sitzt, und dafür bezahlst, als erstes bestellen zu dürfen, bist du auch der erste, der isst."
Und das Zaudern der Europäer scheint sich fortzusetzen. Für eine Aufholjagd wenig hilfreich sind etwa die Querelen um den Astrazeneca-Impfstoff, der in Kontinentaleuropa massiv an Vertrauen eingebüßt hat. In Großbritannien dagegen hält man sich mit den seltenen Nebenwirkungen nicht auf. Dort ist jetzt bereits jeder zweite Erwachsene geimpft, auch dank Astrazeneca.
Mit leichtem Befremden werden in den USA auch die europäische Überbürokratisierung bei der Durchführung der Impfungen gesehen. Die Priorisierung, wer zuerst geimpft werden soll, wird dort weniger strikt gesehen, um das Tempo hochzuhalten. Wenn irgendwo ein paar Dosen übrig sind, wird geimpft, wer gerade da ist, ohne dass sich derjenige hinterher des Vorwurfs erwehren muss, er habe sich unsolidarisch vorgedrängelt.
Slaouis Dienste werden vom neuen US-Präsidenten Joe Biden nicht mehr benötigt. Daher hat der Vater der amerikanischen Impfstoffkampagne kürzlich einen neuen Job angenommen: als Sonderberater der EU-Kommission, um die verkorkste Impfstoffstrategie der Europäer nach vorne zu bringen. Dabei ist er durchaus optimistisch. Trotz aller Probleme sei Europa in einer beneidenswerten Situation. Von den Zahlen her sei man etwa fünf Wochen hinter den USA, sagt Slaoui, wobei der Nachschub an Impfstoff nun stetig größer werde. "Es ist zu spät, um den ersten Bissen zu bekommen", bleibt Slaoui in seinem Restaurant-Vergleich. Aber grundsätzlich stehe Europa gut da.
Quelle: New York Times