Klimawandel: Leben auf dem 8. Längengrad: Das Meer frisst die Heimat – von Langeneß bis Tokelau
Für das Bremerhavener Klimahaus hat eine Filmcrew entlegene Orte in Nord- und Südsee besucht, an denen die Menschen den Klimawandel existenziell spüren. Sie wollen ihre Heimat dennoch nicht verlassen. Der Kurzfilm "From North To South" lässt Festlandbewohner mitfühlen und mitfiebern.
Der Film "From North To South" zeigt Menschen an beiden Enden eines Längengrads: die Hallig Langeneß, eine tiefergelegene Insel in der Nordsee, und Samoa bzw. die drei Korallenatolle Tokelau in der Südsee. Sie befinden sich im Norden auf dem 8. Längengrad, der auf der anderen Seite der Erde als 172ster weitergeht. Zwischen den Orten liegen rund 15.500 Kilometer Luftlinie, doch die Einwohner haben die gleichen Sorgen: Das Wetter hat sich verändert und der Meeresspiegel steigt. Der stern hat mit Manolo Ty gesprochen, der als Fotograf und Kameramann mit der Filmcrew unterwegs war.
Wie lange braucht man von Langeneß nach Samoa bzw. Tokelau?
Wir haben nach Samoa 48 Stunden Reisezeit mit mehren Zwischenstopps gebraucht, es sind etwa 15.500 Kilometer Luftlinie. Nur über Samoa kommt man nach Tokelau, von dort verkehrt alle zwei Wochen ein Versorgungsschiff, solange das Meer mitspielt. Die Strecke beträgt etwa 500 Kilometer Luftlinie, aber die bedeuten 30 Stunden Bootsfahrt bis zum nächsten Atoll, das ist der schnellste Weg. Mambos Letzte Chance 18.56
Wie groß war das Team, mit dem ihr unterwegs wart?
Wir wollten es so klein wie möglich halten und nah dran sein. Wir haben deswegen bei den Familien gewohnt und nicht im Hotel oder so. In Samoa sogar im Wohnzimmer. Da ist jede weitere Person ein Hindernis. Somit musste jeder jedem helfen, wir waren ein eingespieltes Team. Jana Steingässer hat das Buch geschrieben und die Redaktion gemacht, Arne Dunker, der Chef des Bremerhavener Klimahauses, musste neben der Organisation die Tonangel halten. Axel Werner, der auch durch das Klimahaus führt, musste auch überall mit anpacken. Alessandro Rovere hat die Regie des Films übernommen und ich habe fotografiert und zusätzlich die zweite Filmkamera besetzt.
Wann hat der Dreh begonnen und wann war der Film fertig?
Wir haben 2018 in Langeneß gestartet. 2019 sind wir nach Samoa und Tokelau geflogen. Anfang 2020 waren der Film und das Buch Nordsee–Südsee fertig. Die große Ausstellungseröffnung war für den 1. April 2020 geplant, aber dazu ist es wegen des ersten Lockdowns nie gekommen.
Die Sorge um die nächste Generation zieht sich über den gesamten Längengrad. In eurem Film denken schon die Teenager auf Langeneß mit Stirnfalten an ihre Nachkommen. Aber fortziehen will offenbar niemand, oder?
Das stimmt, das hat niemand gesagt. Es kann sein, dass man irgendwann weg muss, aber keiner will es. Wer dort geboren oder dort hingegangen ist, steht dazu. Jetzt ist auf Langeneß schon oft Land unter, das Wasser läuft über die Dämme in die Hallig. Die Warften, die Hügel, auf denen die Häuser stehen, sind dann isolierte kleine Flecken. Jetzt, während Corona, kennen wir das alle ein bisschen. Aber dort kann man tagelang nicht mal seinen Nachbarn besuchen. Doch trotz der Abgeschiedenheit ist die Hallig ein so besonderer Ort, dass man dort bleiben möchte.
Die Halligen könnten untergehen, aber weil sie zum deutschen Küstenschutzgebiet gehören, werden Unmengen an finanziellen Mitteln freigemacht und die Halligen immer weiter erhöht. In Tokelau sieht das anders aus: Völkerrechtlich gehören die Einwohner noch zu Neuseeland, es ist aber eigentlich eine eigenständige Nation. Sie bekommen immer nur bedingt Hilfen und können damit gerade mal ein paar Zentner Zement auf die Insel bringen lassen, um ihre Häuser höher zu legen. Jeder Zentimeter, den das Wasser ansteigt, ist ein Kampf.
Wie lautete der Arbeitsauftrag vom Klimahaus genau?
Es ging um die Gegenüberstellung von Nordsee und Südsee und darum, anhand von persönlichen Geschichten die kulturellen Aspekte während des Klimawandels zu zeigen. Als Resultat sollten ein Buch und eine riesige Sonderausstellung im Klimahaus in Bremerhaven entstehen. Zudem ein Kurzfilm, der inzwischen bei internationalen Filmfestivals gelaufen ist und auch ein paar Preise gewonnen hat.
Was hat dich in Tokelau besonders beeindruckt?
Vor allem die Gesellschaftsform, in der die Tokelauer leben: eine Art Sozialismus, der für alle gilt. Wenn jemand zum Fischen rausfährt, wird der Fisch anschließend gleichmäßig unter allen geteilt – egal ob es das zweijährige Kind ist oder der 80-jährige Opa, alle bekommen das gleiche. Das wirkt wie die Blaupause einer guten Gesellschaft. Das ist dort einfacher, weil nur 1500 Leute auf drei Atolle verteilt leben. Nichtsdestotrotz ist es auch die erste Nation der Welt, die zum Beispiel das Problem Übergewicht konsequent angeht. Limonaden sind dort zum Beispiel verboten. Als Nächstes folgt ein Tabakverbot. Das ist sehr spannend.
Zudem war es die erste Nation, die zu 100 Prozent auf Solarenergie umgestiegen ist – um ein Zeichen zu setzen. Industrie gibt es dort ohnehin nicht. Sie haben all ihr Geld investiert, um Dieselmotoren abzuschaffen und auf allen drei Atollen Solaranlagen zu bauen. Sie wollten zeigen: Ja, wir sind sehr klein, aber es geht! Sie hoffen, dass sich der Rest der Welt darüber ebenfalls bewusst wird. Das Verbreiten ihrer Botschaft war der einzige Grund, warum sie uns auf die Insel gelassen haben, normalerweise dürfen dort keine anderen Menschen hin.
Sie wollten Reichweite erzielen?
Ja! Ein älterer Mann, der auch im Film zu sehen ist, war 2020 bei der Klimakonferenz in Madrid. Im Anschluss war er in Bremerhaven im Klimahaus eingeladen, damit er sich anschauen konnte, was wir dort aufgebaut haben. Sein abschließendes Urteil war: "Schön zu sehen, dass es etwas gibt, das Verbesserung bringen kann. Dann hat es sich ja doch gelohnt, Tokelau zu verlassen. Die Klimakonferenz hat nichts gebracht." Die Generation hat ihr ganzes Leben für das Klima gekämpft, aber nichts erreicht.
Gibt es auf Tokelau Internet?
Tokelau war das letzte Land, das ans internationale Telefonnetz angeschlossen wurde. Ganz einfach, weil es so weit weg ist. Die Tokelauer haben erst seit kurzer Zeit Internet, via Satellit. Aber das ist sehr eingeschränkt, dort läuft längst noch nicht jeder mit einem Smartphone herum. Tokelau ist theoretisch noch immer eine Kolonie Neuseelands. Die Neuseeländer wären sie ganz gern losgeworden und haben den Bewohnern die Unabhängigkeit angeboten, doch die Insulaner wussten: Das ist jetzt der falsche Zeitpunkt. Sie hätten keinerlei Hilfe mehr bekommen. Nun haben sie zumindest noch den neuseeländischen Pass, verwalten sich aber selbst.
Wahrscheinlich gelten dort auch andere Werte als Gucci-Handtaschen und die neuesten Sneakers.
Absolut. An solchen entlegenen Orten zählt vor allem das, was man im Alltag gebrauchen kann. Für frisches Wasser haben sie zum Beispiel überall Auffangkanister aufgestellt, denn es gibt kein Grundwasser – da ist nur der salzige Ozean. Sie überleben durch Regenwasser, aber seit einer Weile ist auf das Wetter kein Verlass mehr. Damit überwiegt die Bedeutung der Dinge für das alltägliche Leben. Statussymbole braucht niemand, wenn ohnehin alles geteilt wird.