1116 Ertrunkene: Seebrücke-Kundgebung machte auf Zustände in Lagern aufmerksam
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Von Helen Moayer Toroghy
Heidelberg. Ernst war die Stimmung der Menschen am Samstagnachmittag auf der Neckarwiese – denn es ging um ein ernstes Thema. Im Regen, mit Abstand und Maske standen über 150 Menschen im Gras, um ihre Solidarität mit Geflüchteten auszudrücken. Der Heidelberger Ableger der zivilgesellschaftlichen Bewegung Seebrücke hatte anlässlich eines landesweiten Thementags unter dem Motto "Baden-Württemberg – ein sicherer Hafen zum Kommen und Bleiben" zu der Kundgebung geladen. Vor dem Redner-Pavillon ragte ein großes oranges Banner hervor: "Sichere Fluchtrouten statt Abschottung".
Mit Verweis auf die aktuelle Lage in Westbosnien, wo nach dem Brand des Flüchtlingslagers Lipa nun viele Menschen obdachlos sind, eröffnete Nina Zegowitz von der Seebrücke die Kundgebung. "Obwohl das Flüchtlingslager bereits am 23. Dezember abgebrannt ist, sind dort immer noch viele Menschen obdachlos − es ist bitterkalt und es fehlt den Menschen an allem." Die Politik dürfe die Verantwortung nicht an Drittstaaten auslagern, appellierte sie.
Neben der Seebrücke waren auch Redner vom Projekt Solicamp zu Gast. Sie hatten erst vorletzte Woche auf dem Marktplatz mit einem siebentägigen Protestcamp auf die Missstände an den EU-Außengrenzen hingewiesen. Die Probleme in den Lagern seien zahlreich: knappe Trinkwasserversorgung, wenig Essen, kaum Toiletten, Eiseskälte und jetzt auch noch die drohende Gefahr einer Coronainfektion: "Dass die Lage an den EU-Außengrenzen für Geflüchtete katastrophal ist, wissen wir seit Jahren", erklärte Ahmad Mohamad von Solicamp. Die Aktivistinnen und Aktivisten betonten, dass es ihnen nicht nur darum ginge, Aufmerksamkeit auf Missstände zu lenken – sie haben auch konkrete Forderungen: "Wir fordern die sofortige Evakuierung der Lager", so Mohamad.
Mia Lindemann vom Asylarbeitskreis Heidelberg, die auch Seebrücke-Mitglied ist und die Kundgebung angemeldet hatte, sagte: "Wir fordern sichere Bleibeperspektiven und ein Landesaufnahmeprogramm durch die baden-württembergische Landesregierung, wie es das bereits 2016 für die verfolgten Jesidinnen im Irak gab." Sie rief außerdem dazu auf, die zivile Seenotrettung zu entkriminalisieren – eine Kernforderung der Seebrücke.
Speziell von der Stadt Heidelberg forderten die Rednerinnen und Redner, mehr Druck auf das Land aufzubauen und der Verpflichtung nachzukommen, ein "sicherer Hafen" zu sein. Heidelberg ist nämlich bereits Teil des Städtebündnisses "Städte sicherer Häfen". Die Mitglieder dieses Bündnisses erklären sich bereit, Geflüchtete aufzunehmen, haben aber keinen Einfluss auf die konkrete Zuweisung, wie die Stadt Heidelberg immer wieder betont.
Die Aktivistinnen und Aktivisten wollen zudem verhindern, dass das Ankunftszentrum von Patrick-Henry-Village auf die Wolfsgärten verlegt wird. Deren abgelegene Lage würde das Miteinander erschweren und die Geflüchteten von der städtischen Infrastruktur abschneiden. Dass dies problematisch sei, findet auch Jaswinder Pal Rath. Der stellvertretende Vorsitzende des Migrationsbeirats der Stadt sagte: "Was hilft ein sicherer Hafen, wenn die Menschen nicht willkommen sind? Migration kann nur funktionieren, wenn die Menschen mit Herz dabei sind." Auch in Heidelberg sei da noch viel zu tun.
Im Anschluss an die Kundgebung gab es vier Mahnwachen – an der Neckarwiese, am Marktplatz Neuenheim, auf dem Bismarckplatz und am Anatomiegarten in der Hauptstraße. Zudem legten die Aktivistinnen 1116 leuchtend orange Steine entlang des Weges zwischen Theodor-Heuss-Brücke und Ernst-Walz-Brücke nieder. Sie sollen an die 1116 Menschen erinnern, die laut Seebrücke im vergangenen Jahr bei ihrer Flucht im Mittelmeer ertranken.