«Spar dich reich»-Masche: Wie Medien immer wieder darauf reinfallen
Ob Tagi, NZZ oder SRF, sie alle widmeten sich schon mehr oder weniger ausführlich der Frugalismus-Bewegung: Menschen, die sich jung reich sparen und früh in Rente gehen. Doch die Berichterstattung fällt weitgehend unkritisch aus, und Frugalismus-Gurus nutzen diese unkritische Bühne gekonnt, um Geld zu verdienen. Warum das ein Problem ist, besprechen Christian Caspar und Marko Weiterlesen ...
Ob Tagi, NZZ oder SRF, sie alle widmeten sich schon mehr oder weniger ausführlich der Frugalismus-Bewegung: Menschen, die sich jung reich sparen und früh in Rente gehen. Doch die Berichterstattung fällt weitgehend unkritisch aus, und Frugalismus-Gurus nutzen diese unkritische Bühne gekonnt, um Geld zu verdienen. Warum das ein Problem ist, besprechen Christian Caspar und Marko Kovic in der neuen Folge unseres Podcasts «Das Monokel».
Wir rackern uns jahrzehntelang ab, nur um den Ruhestand im hohen Alter mit einer mickrigen Rente zu bestreiten. Wie schön wäre es doch, aus diesem Hamsterrad auszubrechen, der Arbeitswelt schon jung Adieu zu sagen und das Leben unbeschwert mit einer ordentlichen Rente zu leben. Genau das ist möglich, wenn man ein paar Jahre lang Geld spart und in Aktien anlegt. So lautet das Credo der Frugalismus-Bewegung.
Weiterbildung in Kommunikation und Marketing?
Den Startschuss der Frugalismus-Bewegung, die auch unter dem Akronym FIRE (Financial Independence, Retire Early) bekannt ist, gab das Buch «Your Money or Your Life: 9 Steps to Transforming Your Relationship with Money and Achieving Financial Independence», das Vicki Robin und Joey Dominguez 1992 in den USA veröffentlicht haben. Zu einem breitenwirksamen Faszinosum wurde Frugalismus aber erst dank des erfolgreichen Blogs «Mr. Money Mustache», den der Kanadier Peter Adeney 2011 ins Leben gerufen hat.
Verlockendes Versprechen: vermögend durch Nichtstun.
Das Grundprinzip des Frugalismus ist denkbar einfach. Wenn man rund 15 bis 20 Jahre einen gut bezahlten Job hat, aber minimalistisch lebt und hohe Ausgaben vermeidet, kann man einen grossen Teil seines Einkommens in Aktien anlegen. Hat man auf diese Art genug investiert, sorgt die automatische Wertsteigerung auf den Aktienmärkten dafür, dass man quasi durch Nichtstun immer vermögender wird. Einen Teil dieses so wachsenden Vermögens kann man jedes Jahr aufbrauchen, und zwar ohne, dass das Vermögen insgesamt schrumpft. Mit diesem «Hack» überlisten Frugalistinnen und Frugalisten scheinbar das System und geniessen Freiheit und Selbstbestimmung, während der Rest von uns im Job versauert.
Tschüss Lohnarbeit, hallo Leben. Das ist ein auf den ersten Blick durchaus interessanter Lebensentwurf, über den auch die Medien regelmässig berichten. So porträtierte etwa Denise Jeitziner im vergangenen November den Schweizer Frugalisten Marc Pittet im Tages-Anzeiger. In ihrem Artikel «Mit 40 in Rente – so geht’s» werden Pittet, seine Frugalismus-Webseite «Mustachian Post» und sein Buch «Free by 40 in Switzerland» vorgestellt. Über Pittet berichtete zuvor auch schon die Neue Zürcher Zeitung. Im September 2019 zeigte Michael Ferber im Artikel «Mit 45 in Rente – Sparen für den Berufssausstieg» Pittets «Reise in die finanzielle Unabhängigkeit» auf. Sabine Meyer hat im Januar 2019 den Frugalisten Thomas Kovacs in einer Ausgabe der Hintergrundsendung «Input» des Radio SRF 3 porträtiert. Kovacs betreibt die Webseite «Sparkojote» und will spätestens mit 30 Millionär sein. Über seine frugalistischen Ambitionen haben unter anderem auch Helene Obrist bei Watson («Thomas (22) aus Zürich hat einen Plan – mit 30 Millionär sein und in Frühpension gehen»), Jennifer Garic bei der Handelszeitung («Fertig Arbeit! So geht man jung in Pension») oder André Müller bei der Neuen Zürcher Zeitung («Thomas Kovacs will mit 30 in Pension gehen. Damit ist er nicht allein») berichtet.
Würden wir plötzlich alle nur noch von Aktienerträgen leben wollen, gäbe es gar keine produzierende Wirtschaft mehr.
Über Frugalismus wird also viel berichtet. Und wie wird berichtet? Leider doppelt unkritisch. Erstens fehlt in der Berichterstattung über Frugalismus eine Kritik an der Realisierbarkeit des Frugalismus an sich. Das Ziel des Frugalismus ist es, möglichst schnell in die kapitalistische Investorenklasse aufzusteigen, um nicht mehr von Lohnarbeit, sondern nur noch von Aktienkapital zu leben. Aber wir können natürlich nicht alle Kapitalisten sein: Würden wir plötzlich alle nur noch von Aktienerträgen leben wollen, gäbe es gar keine produzierende Wirtschaft mehr. In praktischer Hinsicht ist Frugalismus aber so oder so nur für privilegierte Gutverdiener eine Option, die es sich leisten können, einen grösseren Teil des Einkommens in Aktien zu investieren. Die meisten Leute können gar nicht sparen.
Zweitens wird in der Berichterstattung zu Frugalismus nicht hinterfragt, wie denn die jeweils portraitierten Frugalismus-Gurus eigentlich ihr Geld verdienen. «Mustachian Post» und der «Sparkojote» sind vollgekleistert mit Werbung und halb versteckten «Affiliate Links» für Tradingplattformen, für Bankkonten, für Beratungsplattformen und so fort, bei denen sie Provisionen kassieren. Peter Adeney, der Betreiber von «Mr. Money Mustache», hat gemäss einer Reportage im «New Yorker» von 20167 mit dieser Art der Werbung schon damals mindestens 400’000 Dollar im Jahr verdient. Frugalismus-Gurus sparen sich nicht reich, sondern werden reich, indem sie ihrem nichtsahnenden Publikum Finanzprodukte andrehen.
Medien machen mit ihrer unkritischen Berichterstattung im Grunde einfach kostenlose Werbung für die Frugalismus-Gurus.
Was ist nun die Moral der Geschichte? Frugalismus ist ein kleines Beispiel, das aufzeigt, was geschieht, wenn Medien ihre Kritikfunktion nicht wahrnehmen. Sowohl auf der Webseite «Sparkojote» als auch bei «Mustachian Post» werden die Medienberichte prominent präsentiert. Das ist nur folgerichtig, denn die Medien machen mit ihrer unkritischen Berichterstattung im Grunde einfach kostenlose Werbung für die Frugalismus-Gurus. Das bestätigt einmal mehr das alte, George Orwell zugeschriebene, Bonmot: Journalismus bedeutet, etwas zu veröffentlichen, von dem jemand will, dass es nicht erscheint – alles andere ist PR.