Streaming-Serie: "Hanna" - Kopfschüsse und erste Teenie-Küsse
Kalte Hardcore-Action und zarte Momente eines Teenie-Lebens. Die Amazon-Serie "Hanna" verbindet beide Stories um ein ungewöhnliches Mädchen zu einem Universum von Girl-Power, Tod und Liebe, wie man es so noch nicht gesehen hat.
Spoiler-Hinweis. Wir bemühen uns, nicht zu viel zu verraten. Doch wer gar nichts über den Inhalt der Serie wissen will, sollte hier nicht weiterlesen.
Hanna wächst in einem Wald auf. Dieser Wald ist unendlich groß. Keine Menschen verirren sich hier hin. Nur Hanna und ihr Vater Erik leben dort in einer Höhle. Erik ist ein Krieger und er trainiert seine Tochter für den Kampf. Der Film "Wer ist Hanna?" von David Farr wurde 2011 von der Kritik gefeiert. Er war ambitioniert, schnell geschnitten, eine Gewalt-Tour durch Europa. Die Girl-Power des gefährlichen Wunderkindes wurde alles andere als subtil zelebriert.
Das macht die Serie Hanna anders. Auch sie wurde von Farr geschrieben - in acht fast einstündigen Folgen bleibt jedoch mehr Zeit zum Erzählen als in enggepackten 90 Minuten. Wir fanden den Film bombastisch, die Serie jedoch großartig.
Zwei Serien in einer
"Hanna" näht zwei Serien zu einer zusammen. Der eine Strang ist eine finstere Agentensaga. Hier jagen miese Mächte ein junges Mädchen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten. Beschützt wird sie von ihrem Vater Erik. Joel Kinnaman, im Streaming-Universum durch die Serie "Altered Carbon" berühmt. Erik wirkt wie ein Wikinger mit NS-Haarschnitt. "Hanna" badet zwar nicht in Gewalt wie ein Horrorfilm, die Folgen wirken wie ein kühler Agentenfilm der frühen Siebziger. Es wird sachlich und reichlich getötet. Erik zuckt weder in den Mundwinkeln noch in der Seele, wenn er Leute mit Kopfschuss umbringt, die ihm im Wege stehen. Sein Innenleben spiegelt die Kälte des winterlichen Waldes. Man glaubt ihm sofort, dass er auch vor den Lebensgefährten und Kindern seiner Widersacher nicht Halt machen wird. Nur wenn er sich seiner Tochter Hanna offenbaren will, gerät die Kampfmaschine aus dem Takt und ins Stammeln.
Eine gefährliche Situation. Denn zeigt jemand Gefühle, kann man fast sicher sein, dass sein Kopf im nächsten Moment explodiert.Pic Hanna (1)
Unerwartete Tiefe
Die Figuren lösen die Erwartung ein, die ein Zuschauer nun einmal an eine "finstere CIA-Agenten jagen kleines Mädchen"-Story haben. Doch "Hanna" schafft es, ihnen weit mehr Tiefgang zu verleihen als andere Filme ähnlicher Art. Ein Beispiel ist die böse Agenten-Mutter, Marissa Wiegler. Sie hat das Kind nicht zur Welt gebracht, aber die echte Mutter getötet. Noch bevor Hanna auf die Welt kam, wurde sie für ein sinistres Geheim-Programm vorgesehen. Als Baby entschlüpfte der Agentin das Kind, nun macht sie gnadenlos Jagd auf den Teenie. Dabei ist Wiegler (Mireille Enos) eine nachdenkliche Frau, die vieles auf sich nimmt, um mit ihrem französischen Geliebten und dessen Sohn in Paris so etwas wie ein glückliches Leben hinzubekommen. Natürlich vergeblich, denn Wiegler ist innerlich ausgebrannt. Die Agentin zeigt ein strahlendes Gesicht, trägt die beste Business-Kleidung, ihre Wohnung in Paris ist exquisit. Dann fährt die Kamera über die Hände der schönen, erfolgreichen Frau. Die Haut ist grau, faltig und verbraucht - an den Händen erkennt man den inneren Tod. Serienfans werden sich an dem Wiedersehen von Kinnaman und Enos nach der Erfolgsserie "The Killing" erfreuen.
Hungrig nach Leben und Liebe
Auch das Mädchen Hanna ist Teil dieser Welt - ohne viel Herumgetue bricht sie Menschen das Genick. Doch Hanna ist auch ein junges Mädchen und dessen Geschichte macht den eigentlichen Reiz der Serie aus. Aufgewachsen in dem Wald jenseits von Menschheit und Zivilisation, hat sich ein ungeheurer Lebenshunger in Hanna aufgestaut und ein ausgewachsener Appetit auf Jungs – nicht auf einen besonderen Jungen, sondern überhaupt. Anstatt beim ersten Mini-Date ein wenig, dezent auf der Bank herumzumachen verschlingt sie den Boy, der sie küssen will, mit Haut und Haaren. Nur mit Mühe kann ihre neu gewonnene Freundin Sophie Hanna von dem Jungen herunter zerren. Sie und ihre ewig streitenden Eltern hat Hanna auf der Flucht kennengelernt. Sie schlüpft in dem alten Camper von Sophies Papa unter und erlebt mit der lebenslustigen Britin die ersten Momente des Teenie-Seins. Neben der Hardcore-Action entspinnt sich ein Coming-of-Age-Drama – das anders als die Action-Momente der Serie konsequent aus der Sicht des Mädchens und für ein junges Publikum inszeniert ist.
Hanna, das Mädchen, wurde nicht für Streaming-Mum und Serie-Dad gemacht. Hanna - nach kleineren Produktionen die erste große Rolle für Esme Creed-Miles - sieht aus und tanzt wie ein Teenie-Anti-Star und nicht wie ein Jugendlichen-Klone aus der Hollywood-Fabrik. Auch wenn das auf dem hochpolierten Postermotiven etwas anders wirkt. Sie trägt begeistert Sportanzüge, die ältere Zuschauer nur grauenhaft finden, kein sichtbares Make-up und herabhängende lange Haare zwischen denen ihre Augen fragend in eine Welt blicken, die keine Teenie-Lovestory für sie bereithält, sondern nur Tod und die kaputtesten Eltern, die man sich nur denken kann.
"Hanna" können Sie bei Amazon sehen.