Hoffenheim gegen Union Berlin: Bei den "Eisernen" im Aluminium-Pech
Von Nikolas Beck
Berlin/Heidelberg. In der altehrwürdigen Alten Försterei lief am frühen Samstagabend bereits die Nachspielzeit, als Unions Ryersons den Ball ins Seitenaus, direkt vor die Hoffenheimer Bank klärte. Sebastian Hoeneß wollte keine Zeit verlieren, nahm mit links an, bückte sich, griff aber ins Leere, weil ihm das Leder durch die Beine gerollt war. Bis Hoeneß im Nachfassen am Ball war und diesen direkt Richtung Kevin Vogt zum Einwurf weiter passte, hatte Bankspieler Benjamin Hübner seinem Kollegen aber schon ein neues Spielgerät zugeworfen, sodass Hoeneß Vogt den Ball nur gegen den Unterarm schleuderte. Eine Szene, der man normalerweise keine Beachtung schenken würde. Diesmal war sie aber so wunderbar passend. Sinnbildlich für die gesamten 94 Minuten: Die TSG Hoffenheim war engagiert und motiviert, gab alles, wollte unbedingt den sechsten Sieg in den vergangenen acht Spielen. Aber es sollte einfach nicht sein. Bei der 1:2-Niederlage bei Union Berlin waren Hoeneß, Vogt und Co. über weite Strecken die bessere Mannschaft, gingen in Führung, steckten nie auf. Aber wie bei beiden Berliner Toren waren die "Eisernen" diesmal einfach die Glücklicheren.
"Natürlich ist es schade, dass unsere Serie heute gerissen ist", sagte Hoffenheims Nationalspieler David Raum nach der ersten Niederlage seit dem 0:2 in Bochum Anfang November. "Wir haben alles gegeben, Union hat die Tore in blöden Momenten für uns gemacht."
Punktgleich mit den Köpenickern steht die TSG nun auf Rang vier, also immer noch auf einem Champions-League-Platz. Und der 23-jährige Raum sah in der Niederlage auch keinen Grund, warum man diese Position in den kommenden Wochen räumen sollte. "Wenn wir so spielen wie in den vergangenen Partien und auch heute über weite Strecken, dann können wir uns da oben festsetzen." Vielleicht müsse man in dem einen oder anderen Moment einfach "noch kaltschnäuziger und noch gieriger" sein, grübelte Raum.
Trainer Hoeneß widersprach. Gegen die extrem heimstarken Unioner, die saisonübergreifend von den vergangenen 26 Partien im eigenen Stadion nur eine (2:5 gegen München am 10. Spieltag) verloren haben, sei entscheidend, "auch wenn das Wort abgenutzt ist, ,Mentalität’ zu zeigen". Und diesbezüglich sprach der 39-Jährige seine Schützlinge frei von jeder Kritik: "Laufbereitschaft, Sprintbereitschaft, Zweikämpfe zu führen, die Basics auf den Platz zu bringen, das ist für uns ohnehin ein extrem wichtiges Thema und ich finde schon, dass wir das getan haben."
Zum Beispiel nach einer Viertelstunde, als sich Ihlas Bebou auf der rechten Seite gegen Knoche durchsetzte, los sprintete und seine Hereingabe von Unions Baumgartl unglücklich ins eigene Tor geköpft wurde (16. Minute). Die Gastgeber schlugen aber schnell zurück: Voglsammer wuchtete einen Kopfball gegen die Latte, von wo die Kugel dem machtlosen TSG-Keeper Oliver Baumann an die Schulter sprang und über die Linie flog.
"Unglücklich", haderte Hoeneß, "weil wir bis dahin gut im Spiel waren." Raum (5.) und Stefan Posch nach einer Ecke (11.) hatten den starken Luthe im Berliner Tor zuvor bereits geprüft. Nach dem 1:1 blieben die Kraichgauer das gefährlichere Team. Heintz klärte in größter Not vor Bebou (40.) und auch Andrej Kramaric wollte die erneute Führung und sein 100. Pflichtspieltor für "Hoffe", worauf der Kroate seit Ende Oktober wartet, wieder einmal nicht gelingen (51. und 52.).
Stattdessen jubelten die Berliner. Weil nach einem weiten Ball von Luthe erst Vogt und Chris Richards sich uneins waren. Dann Kruses Schuss abermals von der Latte unglücklich aus Sicht der Hoffenheimer direkt vor einen Berliner abprallte. Und Prömel im Getümmel aus kurzer Distanz per Flugkopfball den Siegtreffer markieren konnte (72.).
Ausgerechnet Grischa Prömel. Der 27-Jährige, dem vergangenen Woche sein erster Doppelpack überhaupt gelungen war, hatte 2014 unter Julian Nagelsmann mit Hoffenheim die U19-Meisterschaft geholt. Der Sprung zu den Profis blieb dem gebürtigen Schwaben bei der TSG aber verwehrt. Kontakt zum Ex-Trainer und Ex-"Hoffe"-Coach habe er selbstverständlich noch, grinste Prömel, angesprochen auf seine Vergangenheit. Für ein Engagement in München werde es aber trotz seiner aktuellen Hochform wohl dennoch nicht mehr reichen, mutmaßte der "Mann des Tages". Bei Union werden eben kleinere Brötchen gebacken. Nicht nur von Prömel.
Weil Trainer Urs Fischer trotz des Sprungs auf Rang fünf weiter nur vom Klassenerhalt spricht ("Ich träume generell selten und wenn, dann nicht von Europa"), sollte stattdessen Hoeneß während der Pressekonferenz den Kult-Klub ins europäische Geschäft reden. "Sebastian ...", flehte Fischer, Hoeneß möge die Kirche im Dorf lassen. Dieser tat ihm den gefallen. "Es wird für Union und für alle anderen Teams in diesem Bereich darum gehen, Woche für Woche einfach abzuliefern."
Was er nicht sagte, aber gewiss meinte: Darum geht es auch für seine TSG. Mit dem Pokal am Mittwoch gegen Freiburg und am Samstag in der Liga gegen Dortmund warten für Hoffenheim schließlich schon die nächsten beiden Topspiele. Ob nach dem doppelten Aluminium-Pech gegen die "Eisernen" dann auch Fortuna wieder mitspielt?
Update: Sonntag, 16. Januar 2022, 19.55 Uhr
Union Berlin beendet Hoffenheimer Serie
Von Jens Marx und Stella Venohr
Berlin. Der 1. FC Union Berlin hat die Hoffenheimer Serie beendet und seine beeindruckende Saisonreise mit dem Sprung auf einen Champions-League-Platz fortgesetzt. Die Eisernen erkämpften sich am Samstag im Stadion "An der Alten Försterei" einen 2:1 (1:1)-Sieg über die zuvor sieben Mal nacheinander ungeschlagene TSG Hoffenheim.
Eine Woche nach seinem Premieren-Doppelpack zum 2:2 bei Bayer 04 Leverkusen avancierte Grischa Prömel diesmal sogar zum Matchwinner, als er in der 73. Minute für die Entscheidung sorgte, durch die Union nun punktgleich (31) auf Platz vier in der Tabelle der Fußball-Bundesliga hinter Hoffenheim liegt. Zuvor hatte Andreas Voglsammer (22.) die TSG-Führung durch ein Eigentor von Timo Baumgartl (16.) egalisiert.
Das Verfolgerduell begann allerdings eher bedachtsam. Es wirkte, als wollte sich die zur Hälfte umformierte Union-Mannschaft erst einmal finden. Um die Stärke der Gäste wussten sie ohnehin nach deren vergangenen 17 von 21 möglichen Punkten Bescheid. Unter anderem ohne Vizekapitän Marvin Friedrich in der Abwehr galt es aber erstmal, sich die nötige Stabilität zu verschaffen.
Dass Torwart Andreas Luthe bei ein paar Abspielen patzte, steckten die Eisernen weg, unterstützt von knapp 3000 Fans im Stadion und vor allem den weiteren Anhängern im angrenzenden Wald, aus dem immer wieder laute Union-Gesänge schallten. Viel ließen die Gäste aus dem Kraichgau allerdings nicht zu, stattdessen gingen sie ziemlich cool in Führung - unter unfreiwilliger Mithilfe von Baumgartl, einer von fünf neu in die Mannschaft gekommenen Unionern.
Der Leihgabe von der PSV Eindhoven unterlief ausgerechnet im 100. Bundesligaspiel das zweite Eigentor der Karriere. Vorausgegangen war eine starke Aktion von Hoffenheims Rechtsaußen Ihlas Bebou, dessen Hereingabe Baumgartl mit dem Kopf berührte. Besser hätte es für die TSG-Mannschaft von Sebastian Hoeneß nicht laufen können, nur hatte die Führung nicht lange Bestand.
Über den ebenfalls neu ins Team gerückten Bastian Oczipka und Unions fußballerischem Kreativgeist Max Kruse landete der Ball beim sehr einsatzfreudigen Voglsammer. Dessen Kopfball prallte von der Latte gegen Keeper Oliver Baumann ins Tor. Auch ohne Torjäger Taiwo Awoniyi, der beim Afrika-Cup spielt, treffen die Eisernen. Viel passierte nach dem Ausgleich und bis zur Pause dann aber nicht mehr - ebenso wenig wie danach erstmal.
Hoffenheims Top-Mann Andrej Kramaric konnte sich nach den Schlagzeilen unter der Woche, denen zufolge er noch länger bei der TSG bleiben will, auch nach dem Seitenwechsel nicht entscheidend durchsetzen, viel spielte sich im Mittelfeld ab. Torchancen hatten Seltenheitswert, also brachte Union-Coach Urs Fischer Angreifer Sheraldo Becker, der nach einer Corona-Pause wieder einsatzfähig war.
Und das sorgte für den finalen Schwung: In der 71. Minute verpasste Becker mit einem Kopfball nur knapp den Siegtreffer. Kurz danach aber war der Ball im Tor und Becker daran beteiligt. Er legte auf Kruse ab, der traf die Latte und Prömel nutzte den Abstauber.
Als die Frage nach den Europapokal-Qualitäten des 1. FC Union Berlin an den Trainer der geschlagenen TSG gestellt wurde, sagte Urs Fischer leise und irgendwie ein bisschen mahnend nur ein Wort: "Sebastian." Der vom Schweizer Coach der Eisernen derart angesprochene Hoeneß blickte seinerseits kurz zur Seite und wartete erstmal mit seiner Antwort.
Denn selbst wenn die Unioner von Fischer nach dem 2:1 gegen die Hoffenheimer nun punktgleich mit ihnen sind und im oberen Tabellendrittel der Fußball-Bundesliga stecken - vom Ziel Klassenverbleib wollen sie in Köpenick nicht abrücken. Geschweige denn das Ziel Europapokal ausgeben.
"Es ist auf jeden Fall eine Mannschaft, die extremst schwer zu bespielen ist für alle Mannschaften in der Bundesliga", sagte Hoeneß dann über die Unioner im Stadion An der Alten Försterei: "Ich glaube, keiner fährt so richtig gern hierher." Es gehe aber auch für Union wie für die anderen Mannschaften in dem Bereich darum, jede Woche 100 Prozent auf den Platz zu bringen.
Er mache aber auch keinen Hehl daraus, dass er sehr angetan von dem sei, was Fischer bei Union leiste. Es sei erstaunlich, wie stabil und auf welch hohem Niveau die Mannschaft spiele. "Da muss man jetzt schauen, wo das hinführt. Hoffentlich auf jeden Fall einen Platz hinter uns", sagte Hoeneß.
Update: Sonntag, 16. Januar 2022, 15.05 Uhr