Zuchtprojekt in Lorsch: Neue Rinderrasse soll dem Auerochsen möglichst nahe kommen
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Von Manfred Ofer
Lorsch. Wer kann schon von sich behaupten, dass seine Vorfahren auf einem der ältesten Graffiti der Menschheitsgeschichte zu sehen sind? Die junge Alma aus dem südhessischen Lorsch kann das. Auf einer Höhlenwand im französischen Lascaux, der "Sixtinischen Kapelle der Frühzeit", sind neben anderen eiszeitlichen Tieren auch mehrere mächtige Auerochsen zu erkennen. Im Zuge eines Rückzüchtungsprojekts soll der stolze Urahn von Alma auf lange Sicht wieder zum Leben erweckt werden. Der erste Babyboom hat schon eingesetzt.
Alma ist das erste Kind eines "Auerrindprojekts", das in Lorsch das Licht der Welt erblickte. Das war bereits im Dezember 2016 der Fall. Die junge Kuh blieb nicht lange allein, denn die Herden, die in Lorsch, Einhausen und Groß-Rohrheim grasen, haben sich als erfreulich fruchtbar erwiesen. Der verantwortliche Leiter des Freilichtlabors Lauresham, Claus Kropp, sieht das gerne. Erst vor wenigen Tagen gab es wieder Nachwuchs bei den Rindern, der nun unter Bedingungen aufwächst, die denen der urzeitlichen Vorfahren ähnlich sind.
Seitdem das Projekt, bei dem es sich um eine europaweite Kooperation handelt, im Jahr 2014 an den Start gegangen ist, sind schon genügend Tiere in der ersten Generation geboren worden, um eine eigene Herde zu bilden. "Alma wird wohl auch bald Mutter werden", wagt Dorothea Lutz (53) einen Blick in die nahe Zukunft. Sie gehört zu den Mitarbeitern am Freilichtlabor Lauresham, dem Museumsdorf am Rande der Klosterstadt, das einer ganzen Reihe von experimentalarchäologischen Projekten Raum bietet.
Zusammen mit Alexander Lidberg (18), der gerade sein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in Lauresham absolviert, ist sie unter anderem für die Fütterung der Tiere zuständig. Darunter sind ungarische Steppenrinder und spanische Sayaguesas. Im Zuge des Rückzüchtungsprojekts wurden gezielt Rassen ausgewählt, die mit Blick auf Hörner, Statur und Fellfarbe dem ausgestorbenen Auerochsen ähnlich sind. Alma ist aus so einer Verbindung erwachsen. "Sie ist das Kind einer internationalen Ehe", stellt Alexander mit einem Grinsen fest, während er eine Kuh streichelt.
Zu den Tieren, die heute gefüttert werden, gehört Lola. Die temperamentvolle Dame stammt aus Italien und gehört zu den Chianina-Rindern, die schon auf den antiken Darstellungen der Etrusker verewigt wurden. Lola grast gerade mit einem langhornigen Watussi-Bullen auf einer Weide und reibt ihren schneeweißen Rücken an einem Baum.
Dorothea Lutz ist begeistert von diesem Anblick. "Durch ein solches Auflichten haben wild lebende Auerochsen früher komplette Landstriche in Europa geprägt", erklärt sie die Bedeutung des Verhaltens für das Ökosystem. Auf diese Weise trugen die Tiere bei uns einst zu einer artenreichen Flora und Fauna bei. Eine wissenschaftliche Spurensuche hat ergeben, dass das bis vor eintausend Jahren auch in der Metropolregion noch der Fall war. Regionale Projekte zur Renaturierung setzen inzwischen wieder verstärkt auf die großen Pflanzenfresser, wie zum Beispiel Rinder und Wasserbüffel. "Sie spielen eine wichtige Rolle bei der naturnahen Beweidung von Flächen", weiß Claus Kropp. "Solche Großherbivoren verzögern nachweislich den Bewaldungsprozess und halten die Landschaft damit als Lebensraum für viele Tierarten offen."
Das Ried und der Odenwald waren lange Zeit eine von großflächigen Auen und Sümpfen geprägte Gegend. Heimat des mächtigen Auerochsen, der Jahrtausende lang durch die Landschaft zog. Die ersten Jäger lebten noch im Einklang mit der Natur. Erlegt wurde lediglich das, was man zum Überleben brauchte. Als die Jagd jedoch zum billigen Sport verkam, änderte sich damit alles. Der letzte Auerochse wurde 1627 in Polen geschossen.
Höhlenmalereien und antike Bilder sowie die aus Knochenfunden extrahierte DNA lassen heute wieder Rückschlüsse auf das Erscheinungsbild zu. Eine Schulterhöhe von 1,80 Meter war normal. Sollte das Lorscher "Auerrindprojekt", das von Archäologen, Biologen und Genforschern betrieben wird, erfolgreich sein, wäre damit die Rückkehr einer europäischen Schlüsselart in das Ökosystem möglich.