Jüdisches Fest in Heidelberg: Zum Leben in der Laubhütte ist es zu nass
Von Arnd Janssen
Heidelberg. Sukkot, das Laubhüttenfest, ist gleichzeitig ein Erntedank- und eines von drei Wallfahrtsfesten im Judentum. Auch in Heidelberg wird es seit Sonntag gefeiert, doch wohnen die Gläubigen hier nicht unbedingt acht Tage lang in einer selbstgebauten Laubhütte (Sukka) im Freien, um dort Gott mit verschiedenen Ritualen zu danken, wie es Brauch ist. Es könnte hier schlicht zu nass und zu kalt werden.
Familie Ellenbogen ist das Fest trotzdem wichtig. Es erinnert an die einfache, nomadische Lebensform des Volkes Israel, das einst durch die Wüste zog und zwar keine Ernte einbringen konnte, aber dennoch von Gott versorgt wurde. Fred Ellenbogen und seine Frau Jenny sowie ihre Kinder Noah und Leah gehören zu der über 400 Mitglieder zählenden jüdischen Einheitsgemeinde der Heidelberger Weststadt. "Wir waren immer da, können einfach nicht verschwinden", lacht Fred Ellenbogen. "Unsere Familie ist eine der ältesten der jüdischen Gemeinde in Heidelberg."
Freds Vater war Stenograph in den USA in den 1950er-Jahren und suchte nach einer Arbeitsstelle - ein Freund empfahl ihm, es in Deutschland zu probieren, da gebe es Jobs. Also bestieg er ein Schiff und kam nach drei Wochen in Deutschland an. Er bekam eine Anstellung bei der Armee, zunächst in Stuttgart und 1957 in Heidelberg.
Jenny, Tochter einer Deutschen und eines US-Soldaten, konvertierte zum Judentum, als sie Fred kennenlernte. Den verschlug es zum Studium der Biologie und Entomologie (Insektenkunde) erst mal für einige Jahre in die USA, bevor er wiederum in Heidelberg seine Heimat fand.
Das Ehepaar half mit beim Bau der Synagoge in der Weststadt Anfang der 1990er-Jahre. Die Einweihung 1994 bescherte der jüdischen Kultusgemeinde erstmals ein einheitliches Gemeindezentrum. Geborene Heidelberger sind wenige dabei, die meisten Mitglieder stammen aus den Vereinigten Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
"Es gibt keine Heidelberger mehr, nur noch manchmal kommen einige Ehemalige zu Besuch. Erst durch die Russen wurden wir zu einer richtigen Gemeinde", erklärt Fred Ellenbogen. Er und Jenny erinnern sich an die Schwierigkeit, verschiedene Strömungen des Judentums wie die Orthodoxen und die Reformbewegung in der neugegründeten Einheitsgemeinde unter einen Hut zu bekommen.
Die Mitglieder mussten sich zusammenraufen, waren zum Teil weit über Nordbaden verstreut - zudem gab es kaum Nachwuchs. "Bei Feiern wurde es dennoch temperamentvoll", erinnert sich Jenny Ellenbogen an diese Zeit.
"Die Einheitsgemeinde ist sowohl Fluch als auch Segen", meint Fred, da alle kommen und sich beteiligen müssten, um ihre Interessen durchzusetzen. Lange Zeit herrschte in der Gemeinde Uneinigkeit darüber, ob Männer und Frauen im Gottesdienstraum zusammensitzen dürfen. Mehrmals gab es Änderungen. Im Moment finden Frauen separat auf der Empore ihren Platz. Daran habe man sich mittlerweile gewöhnt.
Der Gottesdienst in der Kultusgemeinde wird traditionell-orthodox gefeiert, Kultsprache ist Hebräisch. Aber auch an Reformjuden, die liberale und moderne Ideen vertreten, wird im Glaubensalltag gedacht. Familie Ellenbogen, die sich als orthodox bezeichnet, schätzt vor allem den wöchentlichen Sabbat. "Ich kann da einfach einen Tag abschalten, auch wenn das manchmal schwer mit dem Arbeitsleben vereinbar ist", freut sich Fred Ellenbogen. Und sein Sohn Noah fügt hinzu: "Man kann vom Internet und Handy wegkommen und entspannen."
Für das momentan stattfindende Laubhüttenfest muss die Familie ihren Lebensalltag ebenfalls abwandeln. "Ich versuche, in der Sukka zu lesen, Kaffee zu trinken und so ziemlich jede Mahlzeit zu essen", berichtet Fred Ellenbogen. Er hat mit Jenny drei verschiedene Zweige einer Dattelpalme, einer Myrte und einer Bachweide bestellt, die mit einer Etrog, einer speziellen Zitrone, zu einem traditionellen Feststrauß kombiniert werden. Während des Betens von Dankpsalmen wird er in alle Himmelsrichtungen geschwenkt.
"Wir danken Gott für alles, vor allem auch für Regen, der nämlich ein Segen ist. Manchmal gibt es in Deutschland mehr als genug davon", amüsiert sich Fred Ellenbogen. Dementsprechend kann die nur mit Bastmatten abgedeckte Laubhütte im Garten der Ellenbogens nur begrenzt genutzt werden. "Wir gehen aber so oft wie möglich rein, vor allem an den ersten beiden Tagen und dem letzten Tag des Festes", versichert Fred. "Die Kinder haben früher oft in Matratzen drin geschlafen", erinnert sich seine Frau Jenny.
Während des Laubhüttenfestes werden die Mahlzeiten mit Gebet, Brot und Wein gefeiert, aber es geht eher locker und informell als feierlich zu. Jenny erklärt: "Die jüdischen Feste sind nicht so familienorientiert wie zum Beispiel das christliche Weihnachten. Bei den Juden werden viel mehr Gäste oder Fremde eingeladen."
Die steigenden Zahlen antisemitischer Straftaten und die damit verbundenen Auswanderungen von jüdischen Familien in vielen europäischen Gemeinden ist für die Ellenbogens kein akutes Thema. "Vielleicht ist das Problem in Heidelberg nicht so groß. Ich trage meine Kippa jeden Tag,", erklärt der Familienvater.
Der Biologe ärgerte sich sehr über die Empfehlung des deutschen Zentralrats der Juden, auf offener Straße vom Tragen der Kippa abzusehen. Das Problem dürfe nicht versteckt werden: "Wir müssen über Antisemitismus reden, denn viele Leute akzeptieren ihn, ohne es zu merken."
Provokationen wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit kennt die Familie aber auch. Noah berichtet: "Es gab Vorfälle in Form von Kommentaren und Beleidigungen, auch in der Schule, aber das Ausmaß ist eher gering". Erschrocken waren die gläubigen Juden zu Zeiten der islamistischen Anschläge in Frankreich im Jahr 2015, als Synagogen in Deutschland von Soldaten mit Maschinengewehren beschützt werden mussten. "Da wurde einem schon komisch."
Fred und seine Familie bleiben Heidelberger: "Wir haben hier gute Erfahrungen gemacht." In Situationen von Diskriminierung oder Beleidigung haben sie bei Mitbürgern ein hohes Maß an Zivilcourage erlebt. Darüber freuen sie sich. Fred findet: "Antisemitismus gibt es seit 2000 Jahren und er war nie weg; wir müssen einfach daran arbeiten".