Sachsen: Mehr als 35 Jahre lebt Pham Phi Son in Deutschland. Jetzt soll er abgeschoben werden
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1987 kam Pham Phi Son als "Vertragsarbeiter" aus Vietnam in die DDR. In Chemnitz hat er eine Familie gegründet und sich ein Leben aufgebaut. Jetzt drohen ihm und seiner Familie die Abschiebung – weil er zwischenzeitlich zu lange in Vietnam war.
Die ehemalige DDR hat über viele Jahre sogenannte "Vertragsarbeiter" aus dem sozialistischen Ausland zu sich geholt. Die Menschen aus China, Angola, Kuba, Mosambik, Ungarn oder Vietnam sollten den Fachkräftemangel in der DDR ausgleichen. Was als "Völkerfreundschaft" von der Regierung propagiert wurde, wird heute von vielen als Ausbeutung bezeichnet.
Einer von diesen "Vertragsarbeitern" war Pham Phi Son. Er kam 1987 aus Vietnam, zwei Jahre vor dem Mauerfall. Seitdem lebt er im sächsischen Chemnitz. Er hat eine Partnerin, Hoa Nguyen. Ihre sechsjährige Tochter wurde in Deutschland geboren. Sie soll bald in die Schule. Pham Phi Son und seine Frau haben unbefristete Arbeitsverträge.
Doch nun droht dem 65-jährigen Pham Phi Son die Abschiebung. Die Härtefallkommission in Sachsen lehnte es erneut mehrheitlich ab, von einem Härtefall zu sprechen, berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR). Es habe sich keine Mehrheit dafür gefunden, ein Ersuchen an den Innenminister des Landes zu schicken, damit Pham Phi Son ein Bleiberecht zuerkannt wird. Die Härtefallkommission setzt sich aus neun Männern und Frauen aus Kirche, Politik und Gesellschaft zusammen. STERN PAID 8_23 Brandenburg Flüchtlinge ein Dorf, zwei lager
Chemnitzer Migrationsbeauftragte "fassungslos, traurig und empört"
Der Fall Pham Phi Son beschäftigt schon seit Jahren die Gerichte. Als Grund für Phams drohende Abschiebung wird ein verlängerter Aufenthalt im Jahr 2016 in Vietnam genannt. Pham Phi Son habe dort Probleme mit einer alten Kriegsverletzung bekommen, weshalb sich medizinisch behandeln lassen musste, so der MDR weiter. Dadurch blieb er länger als sechs Monate in Vietnam – und verletzte so die deutschen Fristen.
"Der Entzug der Niedererlassungserlaubnis übersieht die besondere medizinische Notlage, die einen längeren Verbleib in Vietnam zwingend notwendig machte. Dadurch kann Herr Pham Phi Son kein Selbstverschulden unterstellt werden", schreibt der Sächsische Flüchtlingsrat in einer Online-Petition, die inzwischen mehr als 85.000 Unterschriften zur Unterstützung Phan Phi Sons gesammelt hat.
"Ich bin fassungslos, traurig und empört. In Sachsen steht Härtefallkommission offensichtlich für Härte und nicht dafür, die Härte des Gesetzes zu korrigieren, wenn die Verhältnismäßigkeit zwischen Schuld und Strafe nicht in der Waage stehen", schrieb die Chemnitzer Migrationsbeauftragte Etelka Kobuß bei Facebook.Denzel FS 16.44
Flüchtlingsrat in Sachsen fordert Verbleib der Familie in Deutschland
"Ein Mann nach 35 Jahren Aufenthalt in Deutschland abzuschieben, weil er nicht innerhalb der gesetzlichen Pflicht von sechs Monaten aus seinem Heimaturlaub zurückkehrte, ist unmenschlich." Diese Strafe stehe ihrer Ansicht nach nicht im Verhältnis zum Tatbestand. Man sende damit falsche Signale in die Welt.
Kobuß befürchtet, dass es dem 65-jährigen Pham Phi Son nur sehr schwer gelingen wird, sich in Vietnam wieder zu integrieren. "Welche Chance hat er mit 65 Jahren auf Reintegration in seiner Heimat, den (sic!) er vor so vielen Jahren verlassen hat? Und was erwartet seine Tochter, die hier geboren wurde und gerade erst ihren sechsten Geburtstag feierte?"Facebook Klobuß
Der Sächsische Flüchtlingsrat fordert, dass die Familie Pham/Nguyen bleiben soll und ruft die Entscheidungsträger des Landes auf, sich für den Verbleib der Familie einzusetzen.
"Eine Abschiebung würde nicht nur die Eltern aus ihrem Leben reißen, sondern auch die in Deutschland geborene Tochter traumatisieren. Die Sechsjährige war noch nie in Vietnam, sie spricht die deutsche Sprache und sollte im Sommer eingeschult werden", erklärt Dave Schmidtke, Pressesprecher des Sächsischen Flüchtlingsrates.
Prominente Unterstützung für Pham Phi Son
"Ich bin sehr traurig", sagte Pham Phi Son der "Freien Presse" zu der Situation seiner Familie.
Für Freitag hat der Flüchtlingsrat zu einer Solidaritätskundgebung vor der Chemnitzer Ausländerbehörde aufgerufen. Auch die beiden Moderatoren Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf unterstützten auf Instagram Pham Phi Son und seine Familie, berichtete die "Sächsische Zeitung".
Wie es jetzt weitergeht für Pham Phi Son und seine Familie, ist noch unklar. Über die Abschiebung entscheiden nun die Landesdirektion Sachsen und die Ausländerbehörde in Chemnitz. Eigentlich sei die Familie schon zur Ausreise verpflichtet, berichtet der MDR unter Berufung auf die Landesdirektion.
Die Ausländerbehörde werde nach Angaben des MDR "selbstverständlich nochmals die Voraussetzungen für ein mögliches Bleiberecht prüfen". Ein offenes Verfahren sei derzeitig noch anhängig. Dabei werde auch das neue Chancen-Aufenthaltsrecht berücksichtigt.EuGH zu Abschiebung von Schwerkranken
Chancen-Aufenthaltsrecht eine Chance?
Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht ist Ende des letzten Jahres in Kraft getreten. Damit sollen Menschen, die gut in Deutschland integriert sind, auch gute Chancen erhalten, heißt es beim Bundesinnenministerium. Mit der im Gesetz geregelten 18-monatigen Aufenthaltserlaubnis sollen langjährig Geduldete die Möglichkeit bekommen, die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen.
Allerdings setzt das neue Chancen-Aufenthaltsrecht voraus, dass Migrantinnen und Migranten in Deutschland "am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland leben" müssen, "nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen".
Dies treffe aber auf die Familie von Pham Phi Son nicht zu, so der MDR weiter. Sie sei nach dem ersten abgelehnten Antrag der Härtefall-Kommission 2019 untergetaucht, um einer Abschiebung zu entgehen.
Der Sächsische Flüchtlingsrat hat Zweifel, dass das neue Chancen-Aufenthaltsrecht der vietnamesischen Familie helfen kann. "Der Verweis auf die zuständige Ausländerbehörde und Möglichkeiten zur Prüfung weiterer aufenthaltsrechtlicher Optionen, etwa den neuen 'Chancenaufenthalt', ist eine Verhöhnung der Familie und aller Beteiligten. Bevor der Antrag an die Härtefallkommission gestellt wurde, erfolgte bereits eine Prüfung der Sachlage."
Die Jusos Sachsen nannten es "eine Schande, dass Pham Phi Son trotz seiner jahrzehntelangen Integrationsleistung immer noch von Abschiebung bedroht ist" und forderten eine Überprüfung der Entscheidung der Härtefallkommission.
Quellen: Sächsischer Flüchtlingsrat, MDR, "Freie Presse", "Sächsische Zeitung", "Mitteldeutsche Zeitung", Jusos Sachsen, Online-Petition "Nach 35 Jahren in Sachsen: Familie Pham/Nguyen muss bleiben! #phamphisonbleibt", Bundesinnenministerium, Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland