Viraler Post: Chefin hat eine goldene Regel für Bewerber – und stößt damit auf viel Kritik
Jessica Liebman hat in ihrer Karriere bereits hunderte Bewerber beurteilt – und hat hierfür eine Faustregel: Wer nach dem Bewerbungsgespräch keine Dankesnachricht schreibt, kommt nicht weiter. Dafür hagelt es Kritik.
Der Bewerbungsprozess kann langwierig, schmerzhaft und wahnsinnig anstrengend sein – sowohl für Bewerber, als auch für Personaler. Hat man die gleichen Erwartungen? Werden Anforderungen erfüllt? Können sich Firma und Bewerber in Sachen Konditionen einig werden?
Eine Frau, die seit zehn Jahren für die Einstellung neuer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei einem großen Konzern zuständig ist, verriet nun ihre goldene Regel bei der Auswahl neuer Mitarbeiter – und stieß damit auf sehr viel Kritik und Unverständnis.Interview Eva Wimmers Frauen in Tech 14.49
Jessica Liebman ist seit zehn Jahren Redaktionsleiterin bei "Inside Inc.", zu deren Portfolio unter anderem "Insider" und "Business Insider" gehören. In einem Artikel, der auf der Online-Seite des "Business Insider" veröffentlicht wurde, verriet sie, dass sie in ihrer Karriere bereits hunderte Mitarbeiter interviewt und eingestellt habe und dabei eine wichtige Regel für sich selbst etabliert habe: "Wenn jemand nach dem Bewerbungsgespräch keine Dankesnachricht schickt, sollte man diese Person nicht einstellen."
Eine Dankesnachricht nach dem Bewerbungsgespräch gehört für Jessica Liebman zum guten Ton
Diese Faustregel erklärt sie folgendermaßen: Einerseits zeige eine "Dankes-E-Mail", dass die Person den Job wirklich wolle – "beziehungsweise, ein Fehlen dieser Nachricht zeigt, dass die Person den Job vermutlich nicht will." Die wenigen Male, die sie einen Bewerber oder eine Bewerberin ausgewählt hätten, der oder die keine solche Nachricht geschickt hatte, seien sie geghosted worden, oder hätten schlussendlich eine Absage bekommen. "Und ein paar Mal wurde unser Angebot angenommen, aber die Person zog noch vor dem ersten Arbeitstag ihre Zusage zurück oder arbeitete nur ein paar Monate bei uns."
Außerdem sei ein Bewerbungsgespräch nicht unbedingt eine gute Reflektion des Arbeitsethos eines Bewerbers: "Während eine Dankes-E-Mail nicht garantieren kann, dass jemand eine gute Personalentscheidung sein wird, gibt sie einem doch ein wenig mehr Information: Der Kandidat ist eifrig, organisiert und wohlgesittet genug, um die Nachricht zu schreiben." Außerdem zeige sie, dass ein Kandidat einfallsreich genug sei, um im Zweifel eine E-Mail-Adresse herauszufinden, die der Personaler ihm oder ihr nie gegeben hat. "Bei 'Insider Inc.' wollen wir gute Leute einstellen. Und die Dankes-E-Mail ist ein Hinweis, dass jemand zu diesen Leuten gehört."Interview Gehalt 9.42
Auf Twitter hagelt es Kritik für Liebman
Sowohl Liebman selbst als auch das Social-Media-Team von "Business Insider" teilten den Artikel auf Twitter, wo er sich rasend schnell verbreitete – und auf viel Kritik stieß. So schrieb ein User ironisch: "Entschuldigung, aber ich gebe keinen Artikeln ein Like, außer der Autor dankt mir am Ende fürs Lesen. Wenn sie das nicht tun, wollen sie vermutlich eh nicht, dass ich ihren Artikel lese und gehören nicht zu den guten Leuten."thank you
Ein anderer User schreibt: "Das sendet ja ein tolles Signal an alle, die mit Kommunikation zu kämpfen haben. Isolation, Depression, Angst, Autismus. Es gibt Millionen von Menschen, die vielleicht wirklich ihr Bestes geben, bei denen es aber nicht zum Habitus gehört, eine weitere Nachricht zu schicken."Wie schreibe ich eigentlich eine Kündigung – und worauf muss ich dabei besonders achten?_14.15
Und wieder eine andere Userin fragt: "Könnt ihr euch vorstellen, für jemanden zu arbeiten, der solche willkürlichen Entscheidungen nicht nur fällt, sondern das dann auch noch zelebriert?" Und fügt hinzu: "Bewerbungsgespräche sind eine zweiseitige Angelegenheit. Ich finde in dem Moment genau so sehr heraus, ob ich für jemanden arbeiten möchte, wie die andere Person herausfindet, ob sie möchte, dass ich für sie arbeite. Das vergessen viele Leute gerne."
Und auch Karriere-Influencerin "Ask A Manager" schreibt, sie könne Liebman nicht weniger zustimmen: "Das ist diskriminierend für Kandidaten mit Bildungshintergrund, in dem einem diese Art von Jobsuche-Training nicht gegeben wurde. Das hat nichts mit Können und Potenzial in diesem Job zu tun. Ich mag Dankesmails, aber sie zur Voraussetzung zu machen, ist eine fürchterliche Idee."
Liebman verteidigt ihre Bewerbungs-Regel
Jessica Liebman reagierte auf die Kritik mit einem weiteren Artikel, in dem sie versucht, die Intention hinter ihrer sehr harten Aussage zu erklären. Sie sei überrascht gewesen, auf so viel Gegenwind zu stoßen, schreibt Liebman, und wolle ein paar Dinge klarstellen: "Die Dankes-E-Mail-Strategie ist eine FAUSTregel, keine offizielle Regel oder Richtlinie." Außerdem hätten Menschen ihre Anforderungen als altmodisch beschrieben: "Zur Zeit schicken circa 95 Prozent aller Bewerber bei Insider Inc. eine E-Mail nach ihrem Bewerbungsgespräch – unaufgefordert. Das lässt vermuten, dass die meisten Menschen, die ich treffe, sie immer noch relevant finden."
Eine Dankesmail sei ja in dem Sinne kein Dankeschön für das Gespräch, sondern eine letzte Möglichkeit, sich selbst zu verkaufen und Interesse zu bekunden. Sie sei absolut der Meinung, dass ein Bewerbungsgespräch für beide Seiten gleichermaßen Bewerbung sei: "Die Mail ist ein sehr klares Zeichen in unsere Richtung, dass das Interesse noch besteht, bevor wir unser finales Zeichen schicken: das Angebot."
Quellen: Business Insider 1 / Business Insider 2Unternehmen in Neuseeland setzt auf 4-Tage-Woche 6.25