Jedes Jahr gibt es an Silvester zahlreiche Angriffe auf Einsatzkräfte. GdP-Chef Kopelke zeigt den Polizeialltag in der Nacht auf und erklärt, warum ein Böllerverbot nötig ist. Kaum eine Nacht ist für die Polizei in ganz Deutschland so herausfordernd wie Silvester. Zeitgleich befinden sich zahlreiche Menschen auf den Straßen und zündeln mit Sprengstoff. In den vergangenen Jahren gab es zudem zahlreiche Angriffe auf die Beamten. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert deshalb ein Böllerverbot. GdP-Chef Jochen Kopelke erklärt im t-online-Interview, wie ein solches Verbot aussehen könnte und weshalb nicht alle Bundesbürger davon betroffen sein müssten. Zudem zeigt er sich unzufrieden mit dem Vorgehen der Politiker und richtet scharfe Worte an den Innenminister. t-online: Herr Kopelke, wie blicken Sie als Polizist auf Silvester? Jochen Kopelke: Polizistinnen und Polizisten arbeiten bereits an Weihnachten und gehen dadurch ohne Erholung in den nächsten besonderen Einsatz. Die Polizeirealität in der Neujahrsnacht ist heftig. Es ist nicht zu unterschätzen, was uns an Hass entgegenschlägt. Wie hat sich dieses Geschehen in den vergangenen Jahren entwickelt? 2015 hatten wir die Vorfälle auf der Kölner Domplatte. Da lag der Schwerpunkt auf Sexualdelikten heranwachsender junger arabischer Männer. 2025 ist das Phänomen bekämpft. Das haben wir so nicht mehr. Das heißt, wir haben Silvester immer eine neue Herausforderung. "Böller-Wahnsinn": Nabu Berlin fordert Verbot von privatem Feuerwerk Tagesanbruch: Das nächste Verbot Was sind die aktuellen Herausforderungen? Wir haben im vergangenen Jahr eine enorme Sprengkraft gesehen, vor allem mit Kugelbomben und Selbstgebautem. Im Jahr zuvor haben wir massive Angriffe mit Raketen auf uns selbst erlebt. Das Jahr davor war es wiederum eine Mischung aus allem, als insbesondere Jugendgruppen gezielt die Konfrontation gesucht haben. Silvester verändert sich grundlegend. Weg von feiernden, schönen Momenten, hin zu Ausnahmezuständen. Das gilt natürlich nicht überall in Deutschland, es gibt große Unterschiede zwischen Ballungsräumen und friedlichen Situationen auf dem Land. Der Dreh- und Angelpunkt an Silvester sind Sprengmittel. Sie als GdP fordern deshalb ein Böllerverbot. Wir sollten uns auf das Tatmittel fokussieren. Denn im Moment nehmen wir gar keinen Einfluss: weder auf die Menge des Verkaufs noch auf die Weitergabe an Minderjährige oder auf den illegalen Markt. In der Silvesternacht selbst fühlen sich Menschen dann, als dürften sie alles. Diese Enthemmung bekommt man auch mit massiver Polizeipräsenz nicht in den Griff. Alles, was über die normalen kleinen Knaller hinausgeht, führt zurzeit zu Problemen. Es braucht ein grundlegendes Böllerverbot. Das hätte direkt Effekte. Welche denn? Zum Beispiel weniger abgesprengte Hände oder weniger Sachbeschädigung durch gesprengte Briefkästen oder Angriffe auf Polizeiautos. Wir erwarten, dass sich politische Entscheidungsträger seriös mit dem Sprengstoffgesetz auseinandersetzen und eine Analyse der Vorkommnisse der vergangenen Jahre vornehmen. Noch sehe ich das nicht. Die politischen Entscheidungsträger haben sich gerade bei der Innenministerkonferenz mit dem Thema auseinandergesetzt. Dort einigte man sich darauf, dass es kein bundes- oder landesweites Verbot geben soll, sondern nur Entscheidungen für einzelne Städte und Gemeinden. Wie blicken Sie auf die Ergebnisse, die kommuniziert wurden? Bereits bei der Innenministerkonferenz Anfang des Jahres lautete das Top-Thema: ein anderes Silvester. Doch seitdem ist kein Fortschritt erzielt worden. Wenigstens ist nun die Notwendigkeit erkannt worden, den Regionen mehr Raum zu geben. Das ist die richtige öffentliche Botschaft. Aber es wurden keine echten Ergebnisse festgeschrieben. Deshalb stellen wir uns darauf ein, dass wir auf uns allein gestellt sind. Mal wieder. Im vergangenen Jahr gab es bereits Böllerverbotszonen. Wie gut haben sie funktioniert? Böllerverbotszonen sind erst mal gut, weil die Menschen genau wissen, wo etwas erlaubt und wo etwas verboten ist. Das ist nicht zu unterschätzen. Die Zonen selbst müssen aber auch kontrolliert werden. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Wovon hängt das ab? Ob es einen privaten Sicherheitsdienst gibt, ob die Polizei einspringen muss und ob sie überhaupt genug Kräfte hat. Die Verbotszonen wirken, wenn sie konsequent kontrolliert werden, und deswegen sind sie ein Baustein in der Silvesternacht. Wenn man sie ausweitet, muss man immer bedenken, dass man sie kontrollieren muss. Stichwort Kontrollierbarkeit: Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul hat gesagt, ein grundsätzliches Böllerverbot sei gar nicht durchsetzbar, weil man viel zu viele Polizisten bräuchte. Wie sehen Sie das? Wenn Herr Reul so argumentiert, frage ich mich, warum wir zum Beispiel ein Cannabisgesetz haben. Oder, anderes Beispiel: Im Straßenverkehr ist das Telefonieren während der Autofahrt auch verboten. Das Gesetz hat sich nicht geändert, obwohl wir nicht alle Autofahrer kontrollieren können. Das Argument hinkt also. Wenn Politiker meinen, sie bringen ein Gesetz nicht auf den Weg, weil es nicht kontrollierbar ist, hätten wir ganz viele Gesetze in Deutschland nicht. Deswegen ist meine Empfehlung an Herrn Reul: Machen Sie mal eine Nacht an einem Brennpunkt mit, an dem wir keine wirkliche Rechtskontrolle haben. Sie meinen also, die Politik hat noch nicht erkannt, wie gravierend die Lage ist? Doch, das ist das Bittere. Die Politik weiß sehr genau, wie dramatisch die Silvesternacht an einigen Stellen in Deutschland ist. Das Problem ist eher, dass sie stark auf Wählerstimmen schaut. Erklären Sie das bitte. Weil wir in Deutschland kein einheitliches Bild zum Umgang mit der Neujahrsnacht haben, trauen die Politikerinnen und Politiker sich nicht, etwas grundlegend zu ändern. Die Debatte zum Böllerverbot ist in Deutschland hochemotional. Die Politik schafft es nicht, Kompromisse zu machen und sich dem Thema ernsthaft zu nähern. Zu den Wählerinnen und Wählern gehören schließlich auch diejenigen, die im eigenen Garten nur ein paar Raketen abschießen wollen, ohne böse Hintergedanken. Was entgegnen Sie denen? Dass sie recht haben. Ach ja? Genau! Wer sich an Recht und Gesetz fällt, sollte ja nicht von neuen Gesetzen in seiner Freiheit eingeschränkt werden. Deswegen kann man gesetzlich Einfluss nehmen und verschiedene Interessengruppen berücksichtigen. Wir haben zahlreiche Gesetzeskonstellationen, bei denen nicht jeder sofort von einem Verbot betroffen ist. Wie sähe das aus? Man kann ein Böllerverbot aussprechen, aber eine Erlaubnispflicht für diejenigen, die ein Feuerwerk für ihre Nachbarschaft organisieren wollen, einführen. Ein Verbot bedeutet auch Raum für erlaubnisfreie Bereiche. Da gibt es verschiedene Optionen. Viele Böller kommen aus Tschechien und Polen illegal über die Grenze. Kann man dem habhaft werden? Bundesinnenminister Alexander Dobrindt möchte das Sprengstoffgesetz nicht ändern, hat aber 15.000 deutsche Polizisten an der Grenze im Einsatz. Die müssten dort nun eigentlich auch viele illegale Böller herausziehen. Deshalb werden wir sehen, wie erfolgreich der Minister bei der Einfuhrkontrolle ist. Es fehlen schließlich 15.000 Polizisten im Inland zum Schutz der Städte und Bahnhöfe, wo die Bundespolizei in der Vergangenheit massiv unterstützt hat. Jetzt muss sich Herr Dobrindt auch an der Silvesterbilanz messen lassen. Wie läuft die Silvesternacht denn für die Polizei ab? Wann ist die kritischste Zeit für die Polizei? Silvester ist für uns mehr als 0 Uhr. Wir haben schon Monate vor Silvester das Problem, nicht genug Kräfte zu haben. Uns fehlen die Leute. Also müssen wir die Einsatzkonzepte ständig anpassen. Kurz vor Silvester fühlt es sich dann recht ruhig an. Ab 18 Uhr, wenn das erste Knallen erlaubt ist, fahren wir Streife und stellen viele Kinder und Jugendliche mit Unmengen an Knallern, Böllern und Raketen fest. Da schreiten wir schon ein. Dort fängt die Schadensbegrenzung an, indem wir Böller wegnehmen und Kinder zu ihren Eltern zurückbringen. Wie entwickelt sich die Situation ab 0 Uhr? Um 0 Uhr passiert fast nichts, da gibt es einen Moment der Entspannung, in dem die Polizistinnen und Polizisten kurz durchatmen und den Kolleginnen und Kollegen ein schönes neues Jahr wünschen können. Und dann geht es ab fünf Minuten nach 0 Uhr Schlag auf Schlag. In der Polizeileitstelle und den Feuerwehrleitstellen klingeln die Telefone ununterbrochen. Ab dann wird nur noch priorisiert, weil wir – egal für was – zu wenig Kräfte haben. GdP-Chef Kopelke über Wahlkampf-Sicherheit: "Können nur Hände über dem Kopf zusammenschlagen" Was darf die Polizei zukünftig? "Das stehen wir auf Dauer nicht durch" Was sind das für Situationen? Wir haben Schlägereien, Menschen mit Schreckschusswaffen, Leute, die Böller auf Gruppen werfen, Personen, die angetrunken in Gefahr sind, oder Feuer, bei denen wir unterstützen und absperren müssen. Bis 4 Uhr kommen wir gar nicht hinterher. Da haben wir für Momente rechtsfreie Räume, weil wir so schnell nicht überall sein können und die Masse an Anrufen und Einsätzen uns erschlägt. Am Morgen des 1. Januar geht die Arbeit dann weiter, wenn wir die Verletzten in den Krankenhäusern aufnehmen und Sexualdelikte ermitteln. Vergangenes Silvester wurden allein in Berlin 44 Polizeibeamte verletzt, im Jahr zuvor waren es 57. Wie hat die Polizei denn in der jüngeren Vergangenheit auf die kritischeren Zustände reagiert? Durch viel mehr Polizeipräsenz haben wir die Zahlen im vergangenen Jahr schon wieder senken können. Die Polizeistärke hat einen Effekt auf die Kriminalität. Je mehr Polizei es gibt, desto weniger Angriffe finden statt. Wir können so viele Konflikte frühzeitig unterbinden, Personen schneller kontrollieren, Pyrotechnik einsammeln und Besoffene schon vor 0 Uhr aus dem Verkehr ziehen. Aber diese Rechnung ist endlich, denn uns gehen die Leute aus. In den vergangenen Jahren gab es teils auch Kritik an der Einsatztaktik der Polizei, weil die Einsatzkräfte falsch verteilt wurden und an gewissen Stellen zu wenig Personal vor Ort war. Hat die Polizei auch Fehler gemacht? Ich sehe vor allem die hohe Erwartungshaltung der Menschen an die Polizei. Die wollen zu jeder Zeit beschützt werden durch eine hohe und schnelle Verfügbarkeit der Polizei. Die Wahrheit ist: Das können wir gar nicht mehr gewährleisten. Insbesondere nicht in der Silvesternacht. Man kommt gar nicht hinterher und schickt die Polizeikräfte von A nach B, während in C schon wieder ein neuer Einsatz ist. In der Silvesternacht arbeiten wir im Akkord. Wir können bestimmten Wünschen der Bevölkerung gar nicht gerecht werden, und dadurch entsteht bei vielen verständlicherweise auch ein Unsicherheitsgefühl. Das lässt sich leider nicht ändern. Was hat die Polizei denn aus vergangenen Silvesternächten gelernt? Wir bringen speziellere Einheiten in den Dienst und wir benötigen mehr Kameratechnik, die auch nachts Tatsituationen und Täter besser filmen kann – trotz Nebel oder Böllern. Dieses Silvester werden wir viele Polizeidrohnen in den Dienst bringen müssen, damit wir gute Übersichtsaufnahmen von Menschengruppen machen können.