Kunst mit einem Schuss Ironie und Absurdität
Von Sebastian Lerche
Walldorf. Eine Schar Pinguine, einer von ihnen eindeutig ein König, steht Spalier für die Besucher auf dem Weg zur Ausstellung von Michael Stadter in der Alten Apotheke in Walldorf. Sie wecken die Neugierde und stimmen ein auf eine spannende Entdeckungsreise mit einer Besonderheit: Seine Aquarellgemälde sind erstmals dergestalt ausgestellt, ergänzend zu den Skulpturen, für die der Dielheimer in der Region und darüber hinaus wohlbekannt ist. So kam der Titel zustande: "2D/3D".
Dabei begann Stadters künstlerischer Weg mit der Malerei, wie Dr. Gerhard Baldes, Vorsitzender des gastgebenden Vereins "Kunst für Walldorf", und Friedrich E. Becht, selbst Schauspieler, Fotograf und Schriftsteller aus Rauenberg, in ihren einführenden Worten sagten. 1962 geboren, ist Michael Stadter gelernter Schreiner, machte 1994 seinen Meister und wurde später Technischer Lehrer. Seit 1996 aber befasst er sich schon autodidaktisch mit der Kunst, seit 2000 mit der Bildhauerei. In der Region ist er durch seine rege Ausstellungstätigkeit bekannt und besonders durch seine Skulpturen im öffentlichen Raum, beispielsweise an der Walldorfer Schillerschule, in Wiesloch im "WieTalBad" und auf dem Marktplatz, in Dielheim am "SportPark" und am Rathaus.
In all ihrer Vielfalt sind sie, wie auch die Figuren in der Alten Apotheke, "typische Stadter", so Baldes: Für ihn sei besonders fesselnd, wie Stadter seinen Werken Leben einhaucht, wie sie ganz alltägliche Momente einfangen und vor allem: der Humor, der viele von ihnen prägt. Auch Friedrich Becht bescheinigte den Figuren neben Ausdrucksstärke "einen guten Schuss Ironie und Absurdität". Er hob hervor, dass "die Fähigkeit zur Empathie den Kern von Stadters Schaffen bildet".
Da bezogen sie sich beispielsweise auf die ambitionierten Badenixen, die auf mannshohen Säulen turnen, offenbar bereit für den kunstvollen Sprung. Oder der entschlossene Sumoringer, der ähnlich wie die beiden Boxer, jeder ein blaues Auge, einer aber triumphierend, der andere fix und alle, den Betrachter direkt anspricht. Wer hat sich nicht schon genau so gefühlt wie die Jungs aussehen?
Die Skulpturen sind aus Holz, teilweise bemalt, aufs Wesentliche reduziert und bewusst nicht fein ausgearbeitet oder glattpoliert, im Gegenteil: Nach eigenem Bekunden ist Stadters feinstes Werkzeug in diesem Fall die Kettensäge - eine kleine zwar, sie hinterlässt aber trotzdem deutliche Spuren. Hinzu kommt das Eigenleben des Werkstoffs, sichtbar durch Risse oder Verwachsungen. Grobe Klötze sind seine Skulpturen deshalb noch lange nicht, sie sind im Werden, im Wandel, skurril, verschroben und unvollkommen wie du und ich, aber sie arbeiten dran. Stadters Talent, so Becht, liege darin, gewisse Stimmungen zu erfassen, "sodass sie den Betrachter packen".
"Morbiden Charme" strahlen die ausgestellten Gemälde aus, fanden Baldes und Becht gleichermaßen. Sie zeigen unter anderem alte Tankstellen und Industriehallen, Relikte einer verloren gegangenen Arbeitswelt. "Bereitwillig geben sie ihre Geschichte preis", so Becht: Sie erzählten vom Stolz der Erbauer, von einst rastloser Betriebsamkeit, vom abrupten Enden und von Verfall. Trist wirken sie aber mitnichten, die Ruinen wecken für Becht "Erinnerungen und Sehnsüchte" und sind überdies zu faszinierend-unheimlichem Eigenleben jenseits von menschlichen Intentionen erwacht.
Der lebhafte Strich und ineinanderlaufende Farben tun ihr übriges, um den Charakter dieser Orte herauszuarbeiten. Nur dank der Aquarelltechnik könne ein Bild so zu sprechen beginnen, meinte Friedrich Becht, sie sei also für sehr viel mehr als nur für romantisch-süßliche Landschaften geeignet. "Mit Aquarellfarben zu malen, macht unheimlich Spaß", wie Stadter selbst ergänzte. Derartig aufwendige Bilder male er nicht vor Ort, sondern in der Ruhe seines Ateliers, anhand von Fotografien, die unter anderem in Berlin und im saarländischen Eisenwerk Völklinger Hütte entstanden.
Einen Blickfang in der Mitte des Raums bildet Stadters Skulptur "Pietà": Sie macht für Becht deutlich, wie Stadter in jüngster Zeit versucht, Grenzen auszuloten: Er kenne keine Berührungsängste mit den alten Meistern, gewinne durch ihr Vorbild "neue Impulse fürs eigene künstlerische Wachsen". Die "Mater Dolorosa", Maria, die Schmerzensmutter, interpretiere er beispielsweise neu vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen.
Zu vielfältigen Interpretationen lädt ein Objekt ein, das scheinbar in ebenso starkem Kontrast zu den übrigen Ausstellungsstücken steht: ein Rad, auf dem eine menschliche Figur läuft und an dem die verschiedensten Zeitmesser befestigt sind, Sanduhr, Taschenuhr, dazu ein kleines Uhrwerk. Ist diese Person im Stress? Ist ihr Leben immer dieselbe unerträgliche Tretmühle? Oder sind die befestigten Uhren ein Zeichen von überwundener Zeitnot, vom Genuss eines zeitlosen Moments?
So nimmt es nicht Wunder, dass Friedrich Becht riet, in Ruhe nachzudenken und einen "zweiten Blick" auf die Ausstellung zu werfen, damit sie sich dem Besucher voll erschließt. "Kunst will entschlüsselt werden."
Die musikalische Umrahmung der Vernissage, bei der sich eine große Besucherschar in den Ausstellungsräumen und auch davor drängte, übernahm der bekannte Musiker Matthias Stadter (nicht verwandt) am Keyboard.
Info: Die Ausstellung "2D/3D - Skulpturen, Objekte und Aquarelle" von Michael Stadter ist noch bis Sonntag, 13. Oktober, zu sehen: sonn- und feiertags, 14 bis 17 Uhr, in der Alten Apotheke, Hauptstraße 47 in Walldorf.