Nach schwerer Vergiftung: Wie Nudelwasser Mannheimerin das Malen wieder gab
Von Heike Warlich-Zink
Mannheim. Schreiben, Musik und vor allem Malen haben Nadine Ajsin schon immer fasziniert. "Mich hat man schon im Kindergarten immer in der Malecke gefunden", erzählt die 34-Jährige. An ihren Vorlieben hat sich auch als junge Frau nichts geändert. Allerdings ist aus der Malecke eine künstlerische Nische geworden, die sie sich aufgrund einer schwierigen persönlichen Situation selbst geschaffen hat: Die Neckarauerin malt ausschließlich mit handelsüblichen Lebensmittelfarben.
Bevor die ausdrucksstarken Kunstwerke aufgrund der geringen Haltbarkeit der Farben verderben, werden sie von ihr digital abfotografiert und erscheinen anschließend als großformatiger Echtfarbabzug in Ultra-HD auf der Leinwand, besser gesagt: auf Alu-Dibond-Platte. Es sind abstrakte, exotisch anmutende Farbfeuerwerke, inspiriert vom Wasser, der Natur, tropischen Inseln oder dem Universum. Bilder, die bleiben, während das Original schon längst über den üblichen Hausmüll entsorgt ist.
Der Grund für diese besondere Technik ist, dass Ajsin auf Duftstoffe und Chemikalien hochallergisch reagiert. Das war nicht immer so, sondern ist Ursache einer schleichenden Kohlenmonoxid-Vergiftung. Lange blieb unentdeckt, warum es der Mutter zweier kleiner Kinder immer schlechter ging. Schwindel, Mattigkeit und Zungenbrennen waren einige der unerklärlichen Symptome.
"Zuhause war es besonders schlimm, einmal hat mein Mann mich fast bewusstlos vorgefunden", sagt sie. Sie begann, selbst zu recherchieren, und stieß im Internet auf Kohlenmonoxid als mögliche Ursache. "Dann ging alles sehr schnell. Eine einfache Messung von Fachleuten bestätigte, dass das toxische Gas über die Heizung in die Wohnung eindrang." Der Vermieter reagierte sofort, die Öfen wurden ausgetauscht. Dennoch zog die junge Familie schleunigst innerhalb von Neckarau um. "Ich stand so unter Schock, dass ich keine Wohnung mit Gasheizung mehr wollte", sagt sie. Zurückgeblieben ist eine chronische Erkrankung.
Ajsin reagiert mit Atemnot auf nahezu alle synthetischen und einige natürliche Duftstoffe. Das schränkt den Alltag erheblich ein. "Ich war immer selbstständig. Jetzt ist ein Kino- oder Restaurantbesuch schwierig, das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln nahezu unmöglich geworden", sagt sie.
Auch Acryl- und Ölfarben vertrug sie nicht mehr und konnte kein weißes Papier mehr anfassen. "Das war’s dann mit dem Malen", glaubte Ajsin, die an der PH Heidelberg Grundschullehramt für Deutsch, Sozialwissenschaften und Kunst studiert. Ein Kunstseminar mit dem Titel "Anders sein" brachte die Wende.
"Ich war jetzt anders und musste für mich selbst etwas anderes finden", sagt sie und erinnert sich noch genau an den Tag, als auf dem Herd das Nudelwasser überkochte und ein abstraktes Muster auf dem Ceranfeld hinterließ. "Das habe ich mit dem Handy fotografiert und nur ein bisschen bearbeitet", erzählt sie. Anschließend begann sie, mit Quark und Marmelade zu experimentieren. Inzwischen ist sie bei Lebensmittelfarbe angelangt. Das sei anfangs ein ziemliches "Gepansche" gewesen, doch mittlerweile hat sie ihren eigenen Stil gefunden.
Gemalt wird mit Pinsel, Finger, Gabel oder Holzstäbchen auf Backblechen oder Geschirrplatten. Anschließend kommt die Spiegelreflexkamera zum Einsatz. Ein bisschen Kontrast, ein bisschen Schärfe hier und da. "Aber es wird nichts hinzugefügt oder die Farbe verändert", sagt die Künstlerin, die seit September von der Galerie Makowski in Berlin betreut wird. Dann ging es Schlag auf Schlag. Auf internationale Ausstellungen in Zürich, Salzburg und Leipzig folgte Anfang Dezember die Red Dot Miami, wo mit "Tropical Vibes" eines ihrer Werke als Pressefoto ausgewählt wurde.
Vom 25. bis 27. Januar stellt Ajsin auf der Art Stage Singapore aus, im März bei der Asia Contemporary Art Show Hong Kong und anschließend vier Bilder im Format 100 x 150 Zentimeter bei der Scope Art Show New York. Selbst mit dabei sein kann sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht. "Aber Berlin am 22. Februar will ich wagen" sagt sie. Dort findet in der Galerie Makowski ihre Soloausstellung statt.
"Die Bilder von Nadine Ajsin stoßen in der internationalen Kunstszene auf große Beachtung. Das ist Kunst von morgen", lautet die Einschätzung von Rusa Makowski. Die Galeristin kennt keine Künstlerin, die mit dieser Technik arbeitet. "Viele denken, es handelt sich um Fotokunst. Wenn ich dann erzähle, wie die Bilder entstehen, sind sie umso beeindruckter", sagt sie und findet es vorbildlich, dass die Künstlerin sich nicht aufgegeben hat. "Das bin ich. Das ist die Nische, die ich für mich gefunden habe, und keine Notlösung", sagt Ajsin selbst. Man nimmt es ihr ohne Wenn und Aber ab.